Artikel: Nur lästig oder auch gefährlich?

NPD-Verbotsverfahren: Gericht zweifelt nicht an Verfassungsfeindlichkeit – ­entscheidend ist vielmehr, für wie einflussreich es die Partei hält

Von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 05.03.2016)
 
 Die erste Hürde hat das NPD-Verbotsverfahren genommen: Das Bundesverfassungsgericht nach drei mündlichen Verhandlungstagen von Dienstag bis Donnerstag dieser Woche nicht davon aus, dass staatliche V-Leute die Politik der Neonazipartei noch maßgeblich mitgestalten. Die Vertreter der Bundesländer hatten noch einmal dargelegt, dass die Informanten – elf waren es immerhin in der Führungsriege – im Jahr 2012 »abgeschaltet« worden waren. Der erste Anlauf zum Verbot im Jahr 2003 war an dieser Frage gescheitert, weil die Spitzel bis zuletzt die Parteilinie mitbestimmten. Diesmal ist das Gericht in die inhaltliche Prüfung eingestiegen. Gehört wurden Vertreter des Bundesrates, der das Verbot beantragt hat, Vertreter der NPD, aber auch unabhängige Sachverständige.
Klare Hinweise, wie das Urteil aussehen wird, lassen sich nicht ausmachen. Das Gericht hat sowohl den Antragstellern als auch der NPD hart zugesetzt – letzterer, weil sie ein offenkundig menschenverachtendes Programm hat, ersteren, weil die Beweisführung mangelhaft ist.

Diese Mängel wurden zum Beispiel an der Frage deutlich, inwiefern von der NPD eine tatsächliche Gefahr für die Demokratie ausgeht. Dazu hatte der Verbotsantrag nicht viel enthalten. Weil der NPD in etlichen Verfassungsschutzberichten die Kampagnenfähigkeit abgesprochen wird, hakten die Verfassungsrichter immer wieder nach, welche reale Wirkungskraft die Partei eigentlich habe. Schließlich, so auch Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle, halte sie bundesweit nur 0,15 Prozent aller Kommunalmandate. »Extremismusforscher« Eckhard Jesse nannte die NPD einen »politischen Zwerg«, nahe an der Bedeutungslosigkeit.

 Die Journalistin Andrea Röpke, die jahrelang in der Neonaziszene recherchiert hat, zeichnete ein anderes Bild. Sie schilderte, wie der alltägliche Terror in rechten Hochburgen aussieht. Teilweise, so Röpke, trauten sich Volkshochschulen in Mecklenburg-Vorpommern schon nicht mehr, Seminare zur politischen Bildung durchzuführen. Politiker mehrerer Parteien des Bundeslandes verwiesen darauf, dass unter den Mitarbeitern von NPD-Abgeordneten mehrere verurteilte Gewalttäter seien. Kameradschaften und NPD seien aufs engste miteinander verwoben. Die Nazis schüfen ein Klima der Angst, etwa in Form von Aufmärschen vor den Wohnhäusern politischer Gegner, außerdem legten sie sich ein Image als »Kümmerer« zu, indem sie etwa Sozialberatungen – natürlich nur für Deutsche – anböten.

Auch dabei fragten die Verfassungsrichter nach, wo genau die Verantwortung der NPD liege und inwiefern man konstatieren müsse, dass der Staat seinen Schutzpflichten nicht genügend nachkomme. NPD-Anwalt Peter Richter bestritt sowieso die Verantwortlichkeit der Parteikameraden für jegliche Gewaltdelikte. Das ist für die Beweisführung in der Tat ein Problem: Ein radikales Programm oder extremistische Äußerungen allein reichten nicht für ein Verbot, stellten die Verfassungsrichter klar. Gerichtspräsident Voßkuhle stellte vielmehr heraus, ein gewisses Maß an politischen Provokationen müsse hingenommen werden, ja sei gar das »Salz in der Suppe der Demokratie«. Andererseits müsse man nicht abwarten, bis eine extremistische Partei kurz vor der Machtübernahme stehe. Die Vertreter des Bundesrates bezeichneten die Hasstiraden der NPD als »handlungsleitend« für Gewalttaten, weil sie Gewalt »intellektuell« als Option eröffneten. Gewalt sei Bestandteil des Programms und keineswegs eine unerwünschte Tat von einzelnen. Und wieder bohrten die Richter nach, inwiefern es einen belegbaren Zusammenhang zwischen Parteiprogrammatik und Straftaten der Anhängerschaft gebe.

Am Donnerstag, dem letzten mündlichen Verhandlungstag, wurden etliche NPD-Vertreter in die Mangel genommen und insbesondere zur völkischen Orientierung der Partei befragt. Das Gericht hielt dem früheren Landtagsabgeordneten Jürgen Gansel mit Zitaten aus NPD-Schriften, denen zufolge »Angehörige anderer Rassen« allesamt abzuschieben seien, vor, die NPD gehe hier »weiter als die NSDAP in ihrem Programm«. Die Menschenwürde von Minderheiten werde von der NPD offenkundig missachtet, so die Richter mit Verweis auf homophobe und muslimfeindliche Hetze der Partei.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Blick, der strengere Kriterien an ein Parteiverbot anlegt als bislang in Deutschland üblich. Das gilt vor allem für die Frage, ob ein Verbot tatsächlich notwendig ist, um die Demokratie zu schützen. NPD-Anwalt Richter hat für alle Fälle schon darauf hingewiesen, dass nach EU-Recht auch Zwischenlösungen denkbar seien, etwa ein befristetes Verbot, ein befristeter Ausschluss von Wahlen oder die Einstellung der Parteienfinanzierung. Die NPD hat jetzt noch sechs Wochen Zeit, Argumente zu ihrer Verteidigung vorzulegen, mit dem Urteil wird in einigen Monaten gerechnet.