Im Wortlaut: Abschottung ist keine Lösung

Von Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

(erschienen auf linksfraktion.de am 11.02.2015)

 

Monatelang haben Europas Innenpolitiker die Öffentlichkeit beschwichtigt. Die Einstellung von Mare Nostrum, einer italienischen Marineoperation zur Überwachung des Mittelmeers zwischen Sizilien und Libyen, werde nicht zu mehr Toten im Mittelmeer führen. Triton, die neue Operation der EU-Grenzschutzagentur Frontex, werde genauso Menschen in Seenot retten, wie das zuvor Mare Nostrum getan habe. Erste Zweifel wurden laut, als der Kommandant von Triton einer italienischen Zeitung gegenüber äußerte, Seenotrettungseinsätze außerhalb des Mandatsgebiets – also der italienischen Küstengewässer – seien irgendwie hinderlich und bänden Ressourcen, die sie für den Grenzschutz bräuchten. Und nun gibt es traurige Gewissheit: Über 300 Menschen, die sich am Montag in Schlauchbooten von der lybischen Küste bei hohem Seegang nach Italien aufgemacht hatten, sind nach Angaben des UNHCR vermisst oder tot. Einige sind erfroren, viele ertrunken. Wahrscheinlich hätten sie gerettet werden können, gäbe es Mare Nostrum noch. Doch die EU weigert sich, eigentlich läppische neun Millionen Euro pro Monat an Einsatzkosten zu übernehmen – Triton kostet drei Millionen im Monat. Und zugleich immer mehr Flüchtlinge das Leben.

Sie fliehen vor bitterer Armut

Ortswechsel. Diese Woche berichten die Nachrichtenagenturen über einen anderen europäischen Grenzort, das ungarische Assothalom. Nach Angaben seines Bürgermeisters kommen täglich 500 und mehr Flüchtlinge aus dem serbischen Subotica herüber. Es sind nicht mehr Syrer, Iraker und Afghanen, die vor den von Westen mitverursachten und angeheizten Bürgerkriegen in ihrer Heimat fliehen, wie noch vor einigen Monaten. Jetzt sind auch viele Kosovo-Albaner unter diesen Flüchtlingen. Sie fliehen vor bitterer Armut in dem Land, das die Nato mit ihren Bomben 1999 erst zerstört und dann einer Melange aus Kriminellen und Terroristen überlassen hat. Dort leben viele Menschen von weniger als zwei Dollar am Tag, die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 30 Prozent, 2013 stand einem Bruttoinlandsprodukt von gut 5 Milliarden Dollar (2.800 Dollar pro Kopf, Deutschland: 45.000) ein Außenhandelsdefizit von 2,2 Milliarden Euro gegenüber – typische Daten eines Entwicklungslandes. Einziger Wirtschaftsantrieb sind die Überweisungen aus der weltweiten Diaspora und Zuwendungen internationaler Geldgeber.

Das Glück in der Fremde zu suchen, wenn direkt vor der Haustür die reichsten Industrienationen der Welt liegen, ist eine naheliegende Option. Zumal viele derjenigen, die nun kommen, bereits Verwandte in Europa haben oder schon einmal als Flüchtlinge dort gelebt haben. Doch die Antwort aus Deutschland folgt der gängigen Routine. Es handele sich um Wirtschaftsflüchtlinge, die aus einer schlimmen Situation kommen, ja sicher, aber dafür sei das Asylrecht nun mal nicht gemacht. Und die Überlebenden der Überfahrten nach Italien? Um die soll sich gefälligst Italien kümmern, seinen „europäischen Verpflichtungen nachkommen“. Noch mehr Abschottung soll die Lösung sein: Triton statt Mare Nostrum, Zäune und Stacheldraht an den Landgrenzen in Ungarn, Griechenland, Bulgarien.

EU schafft selbst Fluchtursachen

Die EU schafft mit ihrer neoliberalen Politik, mit den von ihr und ihren Mitgliedsländern unterstützten oder geführten Kriegen und Waffenlieferungen in aller Welt, selbst Fluchtursachen. Doch die EU-Staaten weigern sich, dafür die Verantwortung zu übernehmen.

Für die Antworten, die gegeben werden müssten – ein solidarisches und menschenwürdiges System der Aufnahme von Flüchtlingen und zugleich die Bekämpfung von Fluchtursachen durch eine konsequente Abkehr von einer neoliberalen und neokolonialen Weltwirtschaftspolitik – fehlt ganz offensichtlich der politische Wille.