Hilfe und Solidarität für Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak

Top 5 der 73 Sitzung des 18. Deutschen Bundestages, 1. Beratung eines Antrags der Fraktion Bündnis 90/Grüne „Solidarität zeigen – Aufnahme von syrischen und irakischen Flüchtlingen ausweiten“ auf 18/3154

Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat spitzt sich die Lage für die Flüchtlinge in Syrien und im Irak dramatisch zu. Am Montag hat n-tv gemeldet, dass 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge in der Region keine Lebensmittelkarten und Gutscheine mehr erhalten. Dem Welternährungsprogramm der UN fehlt einfach das Geld. Ein weiteres Problem ist der Winter. 2,4 Millionen Menschen brauchen Kleidung, Decken, ja, sie brauchen vor allem winterfeste Unterkünfte. Viele leben wirklichin schlimmen Behausungen. Gesundheit und Leben dieser Menschen sind bedroht, deshalb muss dringend gehandelt werden. Liebe Mitglieder der Regierungsparteien, wenn man sich nur in Selbstlob ergeht und überhaupt nicht mehr die aktuelle Lage und was momentan ansteht, zur Diskussion stellt, dann frage ich mich: Was ist das eigentlich für eine Ignoranz gegenüber der aktuellen Lage, die Sie hier zum Ausdruck bringen? Das ist wirklich nicht hinnehmbar,
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
und das vor dem Hintergrund – wir haben es bereits gehört–, dass die Nachbarstaaten Syriens und Iraks die größte Last tragen. Allein im Libanon leben über 1 Million Flüchtlinge aus Syrien. Aber die Hilfsbereitschaft lässt auch dort nach. Im Libanon und in Syrien sind die Grenzen dichtgemacht worden, Flüchtlinge werden sogar nach Syrien zurückverwiesen. Die Bundesregierung hat gestern zwar 40 Millionen Euro zusätzlich für dieWelthungerhilfe zugesagt,
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hört! Hört!)
dennoch müssen wir uns als so reiches Land wie Deutschland fragen: Ist das wirklich genug? Nein, das ist nicht genug. Wir müssen mehr tun und unsere Möglichkeiten ausschöpfen, um den Gesamtbedarf zusammenzubekommen. Hier ist wirklich nicht nur Deutschland gefragt, sondern alle EU-Staaten. Alle reichen Länder dieser Welt müssen zur Kasse gebeten werden. Ich finde es wirklich eine Schande, dass reiche Industriestaaten nicht in den UN-Fonds eingezahlt haben und die Flüchtlingsorganisationen weltweit damit alleinlassen. Das kann ja wohl nicht sein.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD])
Meine Damen und Herren, im Sommer hat der Vormarsch der Terrorbanden des „Islamischen Staates“ weitere 2 Millionen Menschen zur Flucht aus dem Irak und aus Syrien gezwungen. Einige von ihnen kamen in das Gebiet Rojava im Norden Syriens, wo eine selbstverwaltete, demokratische Struktur besteht. Aus dieser Region hat man sowohl dasAssad-Regime als auch die Dschihadisten herausgedrängt. Vor allen Dingen in dieser Region werden viele Flüchtlinge versorgt. Ich will hier aber noch einmal deutlich sagen: Weil die Türkei die Grenzen dort dichtgemacht hat, kommt auch dort keine humanitäre Hilfe an. Wenn nicht mit in den Blick genommen wird, dass auch seitens der Menschen in Rojava, die Flüchtlinge aufgenommen haben, Solidarität besteht, dann wird die nächste Flüchtlingswelle anstehen, bei der die Menschen millionenfach in die Türkei gehen bzw. nach Europa drängen. Insofern brauchen wir auch an dieser Stelle von Deutschland und Europa Druck, dass humanitäre Hilfe nach Rojava kommt.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD])
Zweifellos ist die Situation so, dass die Türkei viele Flüchtlinge aufnimmt. Das ist schon mehrfach betont worden. Aber es gibt in der Türkei eine Zweiklassenflüchtlingshilfe. Arabische Flüchtlinge aus Syrien beispielsweise sind in vergleichsweise guten Flüchtlingslagern untergebracht. Ich habe mir selbst davon ein Bild gemacht. Es gibt dort Supermärkte, Werkstätten, Schulen und alles, was man zum Leben braucht. Das ist auch gut so. Andererseits gibt es aber auch Hunderttausende von Flüchtlingen in der Türkei – die Jesiden, die Kurden, die von der Türkei überhaupt keine staatliche Unterstützung bekommen und die zurzeit vor allen Dingen von der kurdischen Bevölkerung versorgt werden. Dort herrscht wirklich das humanitäre Grauen: Die Menschen leben unter freiem Himmel. Es gibt keine winterfesten Unterkünfte. Zum Teil müssen die Leute in irgendwelchen Garagen leben. Es kann einfach nicht sein, dass die Türkei mit diesem Problem alleingelassen wird. Auch hier muss ganz klar gesagt werden: Es muss mehr Hilfe geleistet werden. Vor allen Dingen müssen mehr Menschen in Europa und in Deutschland aufgenommen werden. Man kann sich nicht ständig darauf zurückziehen, dass bei uns 40 000 Flüchtlinge angekommen sind.
(Beifall bei der LINKEN sowie derAbg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich will hier aber auch noch einmal deutlich sagen, – es wird ja immer von Fluchtursachen gesprochen: Der Westen ist nicht ganz unschuldig. Wenn wir diese Hilfe einklagen, dann tun wir das nicht nur, weil wir sagen: „Es ist wichtig, die Flüchtlinge zu versorgen“, sondern auch, weil es eine Mitverantwortung für die Situation gibt, die im Mittleren und Nahen Osten entstanden ist. Ich will daran erinnern, dass beispielsweise die USA mit ihrem völkerrechtswidrigen Krieg vor zehn Jahren maßgeblich dazu beigetragen haben, dass Kräfte wie der „Islamische Staat“, die Dschihadisten stark geworden sind, die heute mit ihrem barbarischen Krieg einen wesentlichen Anteil an der Vertreibung aus dem Irak und aus Syrien haben. Dieser Verantwortung muss der Westen gerecht werden; denn es hat nicht gerade einen sehr starken Druck auf die USA gegeben, diesen Krieg nicht zu führen, sondern es wurde im Gegenteil immer auf Dschihadisten und Rebellen verwiesen. Auch Europa hat im Grunde genommen solche Kräfte mit stark gemacht und ist deswegen mitverantwortlich, jetzt nach Lösungen zu suchen. Man darf nicht einfach nur zuschauen und keinen Druck ausüben. Die Türkei hat einen maßgeblichen Anteil an dem Krieg in Syrien. Wenn man Fluchtursachen wirklich bekämpfen will, dann muss man auf jeden Fall dafür sorgen, dass keine Waffen mehr geliefert werden und dass die Menschen humanitäre Hilfe bekommen. Man muss vor allen Dingen die Solidarität in den reichen Ländern einklagen, dass, wie gesagt, eben nicht nur einzelne Länder etwas tun.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD])
Wenn wir also die konkrete Aufstockung eines humanitären Flüchtlingsprogramms fordern, dann muss das spürbar sein und die Aufnahme vor allen Dingen wirken. Sie haben heute von Familienzusammenführung gesprochen. Ich kann Ihnen viele Menschen aus Syrien nennen, die seit Jahren nicht mehr mit ihren Familien zusammengekommen sind, weil in Deutschland eine unglaubliche Bürokratie existiert, wenn es um die Aufnahme syrischer Flüchtlinge geht. Schauen Sie sich einmal an, seit wann Ihre Programme laufen! Über zwei Jahre dauert es, bis 20 000 Flüchtlinge aus dem Libanon überhaupt hier ankommen. Es kann ja wohl nicht wahr sein, dass man da nicht schneller und unbürokratischer hilft. Die Möglichkeiten, die Deutschland hat, wären bei weitem größer, um vor allen Dingen Familienzusammenführung zu ermöglichen.
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Ich denke dran. Ich komme zum Schluss. – Zum Schluss will ich sagen, dass die materielle Hilfe und die verstärkte Aufnahme besonders hilfsbedürftiger Flüchtlinge absolut nötig sind. Wir sollten vor allen Dingen den Libanon entlasten, denn dieses Land kollabiert inzwischen. Ich glaube, wir werden auch dort mehr Konflikte bekommen, wenn nicht wirklich geholfen wird. Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)