Rede im Bundestag: Freizügigkeit erhalten statt Missbrauchsdebatte schüren

Rede zu TOP 6 der 54. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages, 1. Beratung eines Entwurfs der Bundesregierung eines Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften auf BT-Drs 18/2581

Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, seit über einem Jahr wird insbesondere vonseiten der CDU/CSU immer wieder über den angeblichen Sozialhilfemissbrauch der Zuwanderer aus Osteuropa geredet. Auch Sie haben es heute wieder so dargestellt. Wir erleben seit einem Jahr eine regelrecht hysterische Kampagne, die durch gar nichts gerechtfertigt ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Mit diesem Gesetzentwurf wird nur weiter Öl ins Feuer gegossen. Sie schüren Vorurteile gegen Menschen aus Osteuropa, insbesondere gegen Roma. Indem Sie die Freizügigkeit eingrenzen, entziehen Sie diesen Menschen das Grundrecht auf europäische Freizügigkeit. Ich sage ganz klar: Nicht mit der Linken!
(Beifall bei der LINKEN Oswin Veith (CDU/CSU): So ein Quatsch!)
Die Linke hat, wenn das Bundesministerium von der Union geführt wurde und von dem angeblichen Sozialmissbrauch die Rede war, immer wieder Kleine Anfragen gestellt. Die Bundesregierung musste zugeben, dass Zahlen dazu überhaupt nicht vorliegen; auch die Bundesagentur für Arbeit hat dies zugegeben. Auch der Bericht der Staatsminister, die sich lange damit befasst haben, hat keinerlei Beweise dafür gebracht. Trotzdem wird hier die Schlussfolgerung gezogen, dass man ein solches Gesetz braucht. Die Faktenlage beweist genau das Gegenteil; das hat der Minister eben immerhin gesagt. Unter den Zuwanderern aus Rumänien hat jeder Vierte einen akademischen Abschluss. Die Arbeitslosenquote in Deutschland unter Bulgaren und Rumänen ist niedriger als unter den übrigen EU-Ausländern.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages Herr Minister, jetzt sollten Sie genau zuhören hat gesagt: Nicht der Missbrauch von Sozialleistungen ist unser Problem. Unsere Hauptsorge ist, dass wir zu wenig Geld haben, um diese Menschen unterzubringen und zu integrieren. Von 267 000 Rumänen, die in Deutschland leben, sind laut Polizeilicher Kriminalstatistik ganze 91 verdächtig verdächtig, nicht verurteilt , Sozialleistungsbetrug begangen zu haben. Man muss sich wirklich an den Kopf fassen, wenn die CDU/CSU hier durch die Sprecherin der Landesgruppe der CSU verkünden lässt, man habe jetzt entscheidende Forderungen gegen den Sozialbetrug bei der Armutszuwanderung durchgesetzt. Nein, das haben Sie nicht. Was Sie getan haben, ist, die Themen Zuwanderung und Freizügigkeit willkürlich mit den Themen Missbrauch und Armut zu verrühren.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Genau das hat fatale Folgen. Sie fördern damit Ressentiments in der Gesellschaft, die sich vor allem gegen Sinti und Roma richten, auch wenn diese nur einen geringen Teil der Zuwanderer ausmachen. Eine Leipziger Studie hat uns Mitte des Jahres bestätigt, dass die Feindseligkeit gegenüber Roma immer weiter ansteigt. Dieses Anwachsen des Antiziganismus ist eine direkte Folge der von der Union befeuerten Kampagne gegen vermeintliche Betrüger.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Oswin Veith (CDU/CSU): So ein Unsinn!)
Zuwanderer aus Osteuropa kommen nicht hierher, um Sozialleistungen zu beziehen. Sie kommen hierher, um zu arbeiten. Das müssen Sie endlich einsehen. Hören Sie auf mit Ihrer unfairen Kampagne!
(Beifall bei der LINKEN)
Arbeitslose EU-Bürger sollen jetzt nach sechs Monaten Aufenthalt ihr Aufenthaltsrecht verlieren, wenn sie keine Arbeit haben. Ich möchte einmal die Menschen sehen, die das schaffen. In Einzelfällen soll sogar von der Wiedereinreisesperre Gebrauch gemacht werden. Der Kindergeldbezug soll schärfer geprüft werden usw. Das widerspricht absolut dem Gedanken der europäischen Freizügigkeit. Das lehnen wir auch ganz klar ab.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, die Kommunen brauchen keine neuen Gesetze, sondern vor allen Dingen Unterstützung. Da wird jetzt auch einiges getan. Der Bund gibt Geld an die Kommunen, insbesondere an die, die bedürftig sind. Das ist gut und richtig. Wir schließen uns aber dem Deutschen Städtetag an, der gefordert hat: Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf Integrationskurse auch für EU-Bürger.
Mein Appell an die Bundesregierung ist: Belassen Sie es bei der Hilfe für die Kommunen! Versachlichen Sie die Debatte! Verzichten Sie auf Verschärfungen des Freizügigkeitsrechts! Treten Sie rassistischen Stimmungen entgegen! Nehmen Sie Antiziganismus endlich als Bedrohung in unserer Gesellschaft wahr, und gehen Sie entschlossen dagegen vor!
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)