Artikel: Schutz pervertiert

Schon semantisch zeigt sich der blanke Zynismus: Flüchtlinge bei »Fluchtgefahr« einzusperren, beabsichtigt das Bundesinnenministerium. Ja, Flüchtlinge sind in Gefahr, und deswegen fliehen sie. Unter anderem nach Deutschland, wo dann aber kein Schutz, sondern der Knast auf sie wartet. 21 Jahre nach der rigorosen Einschränkung des Asylrechts im Grundgesetz droht eine weitere Verrohung im Umgang mit Flüchtlingen.

Der Referentenentwurf, der mittlerweile im Wortlaut vorliegt, spricht von einer »Modernisierung des Ausweisungs- und Abschiebungsrechts«. Im Klartext bedeutet das, alle Flüchtlinge einzusperren, die sich folgender Vergehen schuldig machen: Sie haben schon in einem anderen EU-Land Asyl beantragt, dort den Bescheid aber nicht abgewartet – was etwa im Fall von Griechenland und Italien nur allzu verständlich ist. Denn dort bleiben Asylsuchende häufig sich selbst überlassen, oder sie werden erst in ein Aufnahmelager gesperrt, um von dort in ein Abschiebungslager zu kommen. Das kann 18 Monate dauern. Wer davor flieht, wird künftig eben in Deutschland inhaftiert. Weitere Haftgründe: Der Flüchtling ist »unter Umgehung einer Grenzkontrolle« eingereist, hat »über seine Identität getäuscht«, macht sich fehlender Mitwirkung schuldig oder hat in bezug auf seinen Reiseweg »unstimmige oder falsche Angaben« gemacht.

Diese »Vorwürfe« umfassen so ziemlich alles, was einen Flüchtling im abgeschotteten Europa nun einmal ausmacht. Der »verreist« ja nicht so, wie das deutsche Touristen machen, mit ordentlichen Papieren und Linienmaschine, sondern ist froh, wenn er mit dem, was er am Körper trägt, irgendwie lebend in die EU geschleust wird. Das weiß man auch im Innenministerium. Dort ist man nicht lebensfremd, nur schrecklich pragmatisch: Die EU will sich abschotten, und wer trotzdem durchschlüpft, gilt als kriminell. Erst mal alle einsperren, und dann schauen, wen man vielleicht wieder freiläßt – so sieht es aus, wenn deutsche Behörden ihren »Verwaltungsaufwand« beim Abschieben »auf ein vertretbares Maß zurückführen« wollen, wie es in der Gesetzesbegründung heißt. Ob der Entwurf so durchgeht – mit dem Justizministerium ist er offenbar nicht abgesprochen –, ist fraglich. Er zeigt aber, wie sehr der Gedanke des Flüchtlingsschutzes im Innenministerium pervertiert ist.

Zur Peitsche legt es ein vermeintliches Zuckerbrot: Langjährig geduldete Ausländer sollen ein Bleiberecht erhalten, aber nur, wenn sie ordentlich integriert sind. Das heißt vor allem, wenn sie ihren Lebensunterhalt »überwiegend« selbst bestreiten. Wie sie trotz anfänglichen Arbeitsverbotes, Residenzpflicht, ständig drohender Abschiebung und Vorrangprüfung für Deutsche und EU-Bürger eine gutbezahlte Arbeit finden sollen, verrät der Entwurf nicht.