Black Box Bundeskriminalamt

Dazu trug die offenkundige Ignoranz des gestern bereits zum vierten Mal – diesmal mit weiteren BKA-Beamten – zu dieser Thematik vor den Bundestagsinnenausschuß geladenen Chefs des Bundeskriminalamtes (BKA) Jörg Ziercke gegenüber den Fragen der Oppositionsabgeordneten bei. Aber auch die Vertreter der Regierungsfraktionen, die den Fall offenkundig zu den Akten legen wollen, mauerten bei kritischen Fragen und legten sich sogar mit dem Innenausschußvorsitzenden Wolfgang Bosbach (CDU) an. Dieser hatte im Vorfeld Kritik am bisherigen Verhalten Zierckes geäußert: »Wir sind enttäuscht darüber, daß man uns nicht von Anfang an gesagt hat, was wir hätten wissen müssen.«

Zu den ungeklärten Fragen gehört etwa, warum es im BKA niemandem aufgefallen war, daß unter den mehr als 800 Kunden, die bei der kanadischen Firma AzovFilms kinderpornographische Dateien bestellt hatten, Edathys Name stand. Nach der offiziellen Version wurde das BKA darauf erst von der zuständigen Polizeidienststelle in Edathys Heimatstadt unterrichtet. Viele Abgeordnete halten das nicht für glaubwürdig – und fühlen sich durch frühere Falschaussagen und Unterlassungen Zierckes bestätigt. Die Kundendatei aus der »Operation Selm« hatte das BKA im November 2011 von der kanadischen Polizei übermittelt bekommen. »Es hat ein Jahr gedauert, bis man überhaupt diese Dateien angefaßt hat«, hatte Ziercke noch im Februar dieses Jahres im Innenausschuß behauptet. Das war offenbar gelogen. Denn aus der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen geht hervor, daß eine »Grobsichtung« der Datei schon im Januar 2012 vorgenommen wurde. Eine BKA-Mitarbeiterin »scrollte« durch die Datei, ohne auf den Namen Edathy aufmerksam zu werden. Sie stieß aber »zufällig« beim Buchstaben D auf den Namen eines BKA-Kollegen, der Material der »Kategorie 1«, also eindeutig verbotene Darstellungen, bezogen haben soll. Gegen diesen ist dann schwerpunktmäßig ermittelt worden. Auch diese Information hatte der Ausschuß nicht von Ziercke, sondern aus der Presse erfahren. Wie nun im Innenausschuß bekannt wurde, steht auf der AzovFilms-Kundenliste noch ein weiterer Polizeibeamter, der vor zehn Jahren ähnliche Nacktaufnahmen von Kindern gekauft haben soll wie Edathy. Gegen den dem höheren Polizeidienst in Mecklenburg-Vorpommern angehörenden Beamten wird derzeit noch ermittelt.

Die »Grobsichtung« der Kundendabei beim BKA war abgebrochen worden – unklar blieb gestern, ob auf Anordnung von oben. Die gleiche Beamtin mußte anschließend die aus über 6500 Zeilen-Einträgen bestehenden Datei aufbereiten, also unter anderem um Mehrfachnennungen bereinigen. Da sie diese Arbeit »neben ihren anderen Aufgaben« ohne eine personelle Unterstützung erfüllen mußte, dauerte der Vorgang rund ein halbes Jahr. Im gleichen Zeitraum führte die für Kinderpornographie zuständige 26 Stellen umfassende BKA-Abteilung noch weitere Großverfahren gegen rund 3000 Tatverdächtige.

Im Oktober 2012 wurde die Kundendatei, in der auch Edathys Name stand, schließlich ins sogenannten Vorgangsbearbeitungssystem des BKA eingegeben, in dem die Beamten gezielt nach Namen suchen können. Es läßt sich rückwirkend überprüfen, welcher Beamte zu welchem Zeitpunkt welchen Namen eingegeben hat. Eine solche Überprüfung fand aber erstmalig am 18. März dieses Jahres statt – also zu einem Zeitpunkt, als Ziercke bereits dreimal vom Innenausschuß befragt worden war. Ergebnis: Aus dem zuständigen Fachreferat hatte es bis Oktober 2013 von zwei BKA-Mitarbeiterinnen insgesamt fünf Abfragen gegeben. Kein einziges Mal will den beiden dabei aufgefallen sein, daß Edathy Abgeordneter ist, obwohl er damals als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses mehrmals wöchentlich im Fernsehen zu sehen und damit kein unbekannter Hinterbänkler war.

Weitere Abfragen gab es durch Beamte, die mit einem vermeintlichen Sprengstoffanschlag auf den Briefkasten Edathys im Dezember 2012 und der »Bearbeitung von Gefährdungssachverhalten«, also einer möglichen neofaschistischen Bedrohung des damaligen NSU-Untersuchungsausschußvorsitzenden, befaßt waren. Diesen Mitarbeitern wurde ebenfalls die Betreffzeile »Besitz/Erwerb von Kinder/Jugendpornographie« angezeigt. Weitergehende Informationen hätten diese Beamte bei der zuständigen BKA-Fachabteilung erfragen können. Dies taten sie aber nicht, weil sie für ihre Arbeit »keine Rolle« gespielt habe, so die Bundesregierung. Ebenso verzichteten die Beamten darauf, ihre Kollegen darauf hinzuweisen, daß es sich bei deren Verdächtigen um einen Abgeordneten handelte. Ermittlungsarbeit scheint beim BKA auch nach dem NSU-Skandal immer noch extrem einspurig zu erfolgen.

Bei Redaktionsschluß dauerte die verlängerte Sitzung des Ausschusses in Sachen Edathy noch an.