Artikel: Aufstandsbekämpfung

Die Verfolgung der kurdischen Freiheitsbewegung in Deutschland fand von Anfang an in einem internationalen Kontext statt. Auch heute erfolgen Repressivmaßnahmen etwa gegen kurdische Fernsehsender koordiniert im Rahmen von NATO und EU. Die Türkei bildete im Kalten Krieg den Außenposten der NATO gegen die Sowjetunion und ein Bollwerk gegen antiimperialistische Entwicklungen im Nahen Osten. Als Mitte der 80er Jahre der bewaffnete Kampf der PKK gegen die türkische Militärdiktatur begann, sah die NATO darin eine gefährliche Destabilisierung ihres einzigen Mitgliedsstaates im Nahen Osten. Dagegen wurde in der zweiten Hälfte der 80er Jahre von der NATO ein Aufstandsbekämpfungsprogramm eingeleitet. Die Türkei wurde unter anderem mit umfangreichen Waffenlieferungen aus Deutschland weiter aufgerüstet, um die Guerilla in Kurdistan militärisch zu bekämpfen. Gleichzeitig sollte der PKK durch repressive Maßnahmen das Hinterland in Europa entzogen werden.
Im Mittelpunkt dieser Maßnahmen stand Deutschland aufgrund der großen dort lebenden kurdischen Diaspora einerseits und des restriktiven deutschen Staatsschutzrechts andererseits. Generalbundesanwalt Kurt Rebmann erklärte damals die PKK zum ”Hauptfeind der inneren Sicherheit”. Die kurdische Befreiungsbewegung sollte in der öffentlichen Meinung als terroristisch gebrandmarkt und entsprechend bekämpft werden. Ab 1989 fand in Düsseldorf der erste große PKK-Prozess gegen 20 kurdische Politiker nach dem berüchtigten Paragraphen 129a StGB „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ statt. Für den Massenprozess wurde eigens ein neuer Gerichtssaal in einer Polizeikaserne gebaut. In dem unterirdischen Saal wurden die Angeklagten in Plexiglaskäfigen wie wilde Tiere vorgeführt. Doch der erste Versuch der Bundesanwaltschaft, die gesamte kurdische Befreiungsbewegung als terroristisch zu brandmarken, scheiterte juristisch. Aufgrund der Aussage eines Kronzeugen konnten lediglich zwei Angeklagte zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt werden, zwei weitere Verurteilte kamen sofort nach Urteilsverkündigung frei, da ihre Strafen durch die Untersuchungshaft vergolten waren. Zu diesem Zeitpunkt bereiteten die deutschen Sicherheitsbehörden eine viel flächendeckendere Verfolgung der kurdischen Befreiungsbewegung vor, als sie mit den Terrorparagraphen alleine möglich war.
Auf die Bombardierung kurdischer Städte durch die türkische Armee reagierten Kurden in Deutschland im Herbst 1993 mit Anschlägen auf türkische Vertretungen, Cafés und Reisebüros. Diese Anschlagswelle diente zwar als unmittelbarer Anlass für das am 26. November 1993 von Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) verfügte Betätigungsverbot für die PKK, die Nationalen Befreiungsfront Kurdistans ERNK sowie 29 örtlicher Kulturvereine, eine Nachrichtenagentur und einen Verlag. Doch die Verbotsverfügung stützte sich keineswegs allein auf diese der PKK angelasteten Gewalttaten in Deutschland, sondern führen eine Reihe weiterer vor allem außenpolitischer Gründe an. So heißt es darin:
”[…] die Tätigkeit der PKK sowie ihrer Teilorganisationen verstößt gegen Strafgesetze, richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung, gefährdet die innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung und sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland […] Die Straftaten stören das friedliche Zusammenleben zwischen Kurden und Türken sowohl in der Türkei als auch in Deutschland […]. Die gewalttätigen politischen Aktionen […] gefährden die außenpolitischen Belange der BRD. Sie stören erheblich das Verhältnis zum türkischen Staat […]. Die politische Agitation der PKK und ihr nahestehender Organisation hat zwischenzeitlich ein außenpolitisch nicht mehr vertretbares Ausmaß erreicht. […] die deutsche Außenpolitik und die Außenpolitik der gesamten westlichen Welt tritt für (die) Integrität eines wichtigen NATO-, WEU- und Europapartners im Interesse des Friedens in der gesamten Region ein. Eine weitere Duldung der PKK-Aktivitäten in Deutschland würde diese deutsche Außenpolitik unglaubwürdig machen und das Vertrauen eines wichtigen Bündnispartners, auf das Wert gelegt wird, untergraben. Darüber hinaus werden dadurch diejenigen Kräfte in der Türkei gestärkt, die die Bindungen an Europa und dran die westliche Welt lockern wollen […].”
Seit dem PKK-Verbot stehen Kurden in Deutschland faktisch unter terroristischen Generalverdacht. Tausende Ermittlungsverfahren und Verurteilungen wegen Verstößen gegen das Vereinsgesetz wurden eingeleitet und zahlreiche Geld- und auch Haftstrafen verhängt. Es kam zu zahlreichen Demonstrationsverboten bis hin zu Verboten der traditionellen Newroz-Feste im Frühjahr 1994. In diesem Jahr wurde der 16-jährige Halim Dener beim Kleben von PKK-Plakaten in Hannover von Zivilpolizisten erschossen, die Täter gingen straffrei aus. Bis heute werden PKK-Sympathisanten aufgrund des PKK-Verbots zu Geld- und in einigen Fällen auch Haftstrafen verurteilt. Neben dem PKK-Verbot, das vor allem in die Breite der Bewegung wirkt und die einfachen Sympathisanten und Mitglieder einschüchtern soll, werden mutmaßliche PKK-Kader mit den Terrorparagraphen 129 und 129a als Mitglieder in einer „kriminellen“ oder „terroristischen“ Vereinigung verfolgt und zu Haftstrafen verurteilt. Seit 2010 findet der Paragraph 129b Strafgesetzbuch (Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung) Anwendung. Mutmaßliche PKK-Kader, die in Deutschland nur Demos organisieren, Spenden sammeln und Zeitungen verkaufen, werden damit für bewaffnete Guerillakationen in Kurdistan verantwortlich gemacht.
Der Paragraph 129b ist eindeutig ein politisches und kein rein juristisches Verfolgungsinstrument. So wird gegenüber Gruppierungen, die im Ausland bewaffnet kämpfen, mit zweierlei Maß gemessen. Entscheidend sind jeweils die außenpolitischen Interessen der Bundesregierung und ihrer Partnerstaaten. Unterstützer der Syrischen Opposition können in Deutschland für den bewaffneten Kampf in Syrien werben, weil sie von der Bundesregierung als Freiheitskämpfer verstanden werden. Dagegen ist es Kurden verboten, sich öffentlich hinter die Friedensvorschläge von Abdullah Öcalan zu stellen, weil die PKK als terroristische Vereinigung gilt.
Die Verteidiger in den laufenden PKK-Prozessen haben demgegenüber deutlich gemacht, dass der kurdische Befreiungskampf ihrer Ansicht nach ein legitimer antikolonialer Kampf im Sinne des Völkerrechts und kein Terrorismus ist. Auf eine diesbezügliche Kleine Anfrage der Linksfraktion antwortete die Bundesregierung, eine Einstufung als bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts setze „die Kenntnis konkreter Fakten des entsprechenden Falles voraus“ Aber „Die Bundesregierung nimmt eine solche Einstufung im vorliegenden Fall nicht vor.“ Diese offensichtlich gar nicht erwünschte Kenntnis „konkreter Fakten“ zum Kurdistan-Konflikt hinderte die Bundesregierung nicht daran, der Justiz die für eine Verfolgung nach Paragraph 129b notwendige Ermächtigung gegen PKK-Kader zu erteilen. Nicht reelle Entwicklungen, sondern politische Vorgaben sind damit für die Beurteilung der PKK durch deutsche Gerichte ausschlaggebend. So behaupten die Gerichte weiterhin, dass die PKK eine Vereinigung „zur Begehung von Mord und Totschlag“ in der Türkei sei.
Wenn das PKK-Verbot darauf abzielte, die Aktivitäten der kurdischen Befreiungsbewegung in Deutschland zu stoppen, dann war es ganz offensichtlich wirkungslos. Denn nach Angaben der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hat sich die Mitgliedschaft der PKK in Deutschland von 6900 im Verbotsjahr 1993 auf mittlerweile 13000 Mitglieder im Jahr 2012 fast verdoppelt. Ob diese Zahlen mit der Realität übereinstimmen und nach welchen Kriterien die Bundesregierung hier eine PKK-Mitgliedschaft definiert, seit dahingestellt. Entscheidend ist, dass auch nach Ansicht der Bundesregierung die PKK in der Illegalität weiter wächst und Spenden im großen Stil unter der kurdischen Diaspora sammelt.
Abdullah Öcalans Newroz-Aufruf zu Waffenruhe und zum Abzug der Kämpfer aus der Türkei wurde von der Bundesregierung zwar in Antwort auf eine Kleine Anfrage als „großer Schritt hin zu mehr gegenseitigem Vertrauen“ gewürdigt. Doch für sich selbst sieht die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf. „Die friedliche Überwindung des Kurdenkonflikts auf politischem Wege ist eine innertürkische Angelegenheit. … Analogien zur Situation in Deutschland ergeben sich deshalb nicht“. Und als Antwort auf eine schriftliche Frage im Mai erklärte die Regierung:„Die Bundesregierung verfolgt die Gespräche türkischer Regierungsstellen mit Vertretern der PKK mit großem Interesse. Derartige Gespräche haben aus Sicht der Bundesregierung derzeit keine Auswirkungen auf die Unterbindung von Aktivitäten einer in Deutschland verbotenen und auf der EU-Terrorliste gelisteten Organisation. Darum handelt es sich bei der PKK nach wie vor.“ Diese Antwort ignoriert offensichtlich die ja wesentlich außenpolitisch motivierte Verbotsbegründung vor 20 Jahren.
Damit stellt sich die Frage: Hat die Bundesregierung überhaupt ein wirkliches Interesse an Frieden in Kurdistan? Deutschland ist einer der größten Waffenlieferanten in die Türkei. Und Frieden schadet bekanntlich dem Milliardengeschäft der Rüstungsindustrie. Eine Türkei, die ihre kurdische Frage gelöst hat, könnte zudem stärker und eigenständiger agieren. Eine solche demokratisierte Türkei würde sich ihre Wirtschaftspolitik nicht mehr von der EU und ihre Nahost-Politik von der NATO diktieren lassen. Vor diesem Hintergrund erscheint es nachvollziehbar, dass nicht nur Bündnistreue zur Regierung in Ankara für die weitere Verfolgung und Kriminalisierung der kurdischen Befreiungsbewegung in Europa ausschlaggebend ist. Vielmehr ist zu befürchten, dass die kurdische Wunde absichtlich offengehalten werden soll, um auf diese Weise die Türkei geopolitischen und Kapitalinteressen des Westens unterwerfen zu können. Nicht übersehen werden darf dabei, dass die Verfolgung der kurdischen Freiheitsbewegung auch in Deutschland seit Jahrzehnten als Schrittmacher beim Abbau demokratischer Grundrechte dient. Das Gespenst des „kurdischen Extremismus“ musste immer wieder als Begründung herhalten für eine Verschärfung der Terrorgesetze, Einschränkungen der Versammlungsfreiheit und einem Abbau von Flüchtlingsrechten.
Die Linksfraktion ist der Auffassung, dass das Betätigungsverbot für die Arbeiterpartei Kurdistans PKK endlich aufgehoben werden muss. Dies wäre nicht nur ein Beitrag zu einer Friedenslösung in der Türkei sondern auch ein notwendiger Schritt zur Anerkennung der Realität von hunderttausenden in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden.

erschien in: Yeni Özgür Politika, 15.11.2013