Rede: Der Verfassungsschutz ist strukturell demokratieunfähig

Endlos zum einen, weil sie sehr lang ist. Das Amt hat seine Prägung durch die Altnazis, die es anfangs vereinte, bis heute nicht verloren. Der Hauptfeind stand und steht links, deswegen gab es das `Celler Loch`, deswegen wurden Personen wie der Journalist Günther Wallraff und der Rechtsanwalt Rolf Gössner beobachtet, deswegen wurden früher die Grünen und wird heute DIE LINKE als Staatsfeind diffamiert. Gleichzeitig erfahren V-Leute aus der Nazi-Szene freundliche Behandlung und empfangen hohe Honorare.

Wir haben Grund zur Annahme, dass die Mordserie des NSU auch mit Hilfe des Verfassungsschutzes möglich war.

Endlos ist die Liste zum anderen deswegen, weil sie aufgrund des Charakter des Verfassungsschutzes als Geheimdienst zwangsläufig unabgeschlossen bliebe.

Das Sicherste, das man über den Verfassungsschutz weiß, ist: Dass man nur einen Bruchteil von dem weiß, was er macht. Dieser Bruchteil ist allerdings schon so schlimm, dass ich sage: Dieser Dienst muss weg, er ist eine Gefahr für alle Demokratinnen und Demokraten.

Es wird jetzt viel von einer Reform des Geheimdienstes gesprochen, von seiner Stärkung als Zentralinstanz und erweiterten Kontrollmöglichkeiten.
Nur: Dass sich an der Geheimhaltung als zentrales Arbeitsprinzip des VS etwas ändern wird, das hat bislang keiner zugesagt.

Dabei liegt genau hierin das eigentliche Problem. Fehler machen kann jeder, auch Skandale kann es prinzipiell überall geben. Bei allen anderen Behörden aber greift wenigstens ein Mindestmaß an Kontrolle durch Öffentlichkeit und Parlamente. Polizei und Ministerien sind prinzipiell kontrollierbar, in Ausnahmen halten sie Informationen geheim. Beim Verfassungsschutz ist das genau umgekehrt.

Herr Maaßen, ich habe mit großer Verwunderung im aktuellen Focus gelesen, wie Sie behaupten, die Arbeit Ihrer Behörde werde „vollständig von Parlament und Regierung kontrolliert“. Zumindest was das Parlament angeht, kann ich nur sagen, dass Ihre Aussage ein schlechter Witz ist.

Die parlamentarischen Kontrollinstanzen sind weniger als zahnlose Tiger, sie sind allenfalls Streicheltiere. Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) tagt ein paar Mal im Jahr., Es tagt geheim, kein Bürger, kein Journalist hat Zugang. Seine Mitglieder haben kaum Personal, ihr Budget ist nichts im Vergleich zu dem des Geheimdienstes. Sie sind im Wesentlichen auf die Informationen des VS selbst angewiesen, ohne Möglichkeit, Gegenrecherchen anzustellen.

Und falls trotz dieser Beschränkungen doch mal ein Skandal im PKG ans Licht kommen sollte, greift sogleich eine andere Regel: Die Mitglieder des Geheimgremiums sind selbstverständlich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Sie dürfen über einen Skandal nicht reden, sie machen sich sonst strafbar.

Ich meine: Kontrolleure, die über die Ergebnisse ihrer Kontrolle nicht reden dürfen, sind keine Kontrolleure. Sie so zu nennen, ist ein Etikettenschwindel.

Es fehlt nicht nur an einer parlamentarischen Kontrolle. Auch betroffene Bürger haben praktisch keine Chance, sich gegen rechtswidrige Maßnahmen zu wehren. Anders als die Polizei wird der VS tätig, bevor es einen Verdacht auf strafbares Verhalten gibt. Der VS braucht keinen Gerichtsbeschluss zum Abhören, Aufnehmen, Mitschneiden. Faktisch genießt er Straflosigkeit, und zur Not werden eben noch rasch ein paar Akten geschreddert.

Es gehört zum zentralen Grundlage der Demokratie, dass Regierungshandeln kontrolliert werden kann.

Der Verfassungsschutz steht aber gewissermaßen außerhalb der Demokratie, und deshalb wird er ihr auch so gefährlich.

Das Parlament müsste den Verfassungsschutz kontrollieren, doch was passiert: In Wirklichkeit legt der VS ein Dossier über Dutzende linker MdBs sowie über die Fraktion DIE LINKE als solche an. Damit wird die Demokratie auf den Kopf gestellt.

Was die Kontrolle des Budgets, die Ur-Kompetenz eines Parlaments, angeht: Beim VS gilt der ganze Haushalt als geheimer Plan. Das Parlament kann nur über eine Pauschalsumme abstimmen, wir erfahren weder den personellen Umfang des Dienstes noch seine materielle Ausstattung

Wenn das Parlament zur Kontrolle des Geheimdienstes zum üblichen Mittel Kleiner Anfragen greift, was DIE LINKE relativ häufig tut, wird uns die Standardfloskel entgegengehalten: Auskünfte gebe es nur gegenüber den zuständigen Gremien, d. h. gegenüber eben jenem zum Schweigen verpflichteten sog. Kontrollgremium.

Manchmal gelingt es uns, durch eine Organklage vor dem Bundesverfassungsgericht das eine oder andere Detail zusätzlich zu erfahren. Das dauert jedes Mal mehrere Jahre und ist mit hohen Kosten verbunden. Und das schützt einen nicht davor, bei der nächsten Anfrage wieder auf eine Wand des Schweigens zu stoßen.

Wir haben erst vor wenigen Wochen eine Anfrage zum System der V-Leute gestellt, initiiert von meiner Genossin Petra Pau. Gleich zu Anfang der Antwort erfolgte der übliche Hinweis, es sei alles geheim.. Es ist schon fast eine Sensation, dass die Abgeordneten in der sog. Geheimschutzstelle des Bundestages den Bruchteil einer Antwort einsehen durften. Statt der geforderten Auflistung, wie viele V-Mann-Prämien seit 2000 pro Jahr gezahlt wurden, hat man uns immerhin die Gesamtsumme der letzten 13 Jahre genannt.
Das Problem: Ich kenne jetzt diese Zahl. Aber ich mache mich strafbar, wenn ich sie hier öffentlich verkünde. Ich kann dazu nur soviel sagen: Dass die BILD-Zeitung vor kurzem die Zahl von 20 Millionen Euro nannte, die für V-Leute aufgewandt wurden, ist m. E. eher noch untertrieben.

Transparenz jedoch, und Kontrolle, gehen anders, Herr Maaßen.

Wie wenig von der versprochenen Transparenz tatsächlich umgesetzt wird, haben wir erst vor zwei Wochen wieder erlebt, als wir uns nach V-Leuten im Umfeld des früheren Führers der sogenannten Wehrsportgruppe Hoffmann erkundigt haben. Auch nach 30 Jahren wird hier immer noch alles geheim gehalten.

Das alles zeigt: Ein Geheimdienst ist nicht demokratieverträglich. Da helfen auch nicht das eine oder andere Reförmchen. Und schon gar nicht das, was derzeit mit den Stichworten „Stärkung der Zentralstellenfunktion“ diskutiert wird.

Der Kern dieser Reformpläne ist nicht, den Verfassungsschutz endlich den gleichen Kontrollmechanismen zu unterziehen wie sie auch für andere Behörden gelten. Der Kern dieser Reform ist vielmehr, den Sonderstatus des Verfassungsschutzes zu bekräftigen und gerade die Befreiung von der üblichen Kontrolle weiter festzuschreiben.

Herr Maaßen, Sie haben nach ihrem Amtsantritt in einem Interview mit der BILD-Zeitung gesagt, das Bundesamt für Verfassungsschutz sei „so wichtig wie die Polizei oder die Feuerwehr.“ Soll heißen: Die Feuerwehr will ja auch keiner abschaffen, wenn sie mal versagt und einen Brand nicht gelöscht hat.

Ich muss sagen, ich finde diesen Vergleich regelrecht empörend und eine Beleidigung für Feuerwehrleute.

Die Feuerwehr ist keine Geheimorganisation. Jeder kann nachfragen, wie viele Feuerwehrleute es gibt, wie viele Fahrzeuge usw. Die Arbeit der Feuerwehr ist nachvollziehbar, das Budget ist transparent.

Von der Feuerwehr ist nicht bekannt, dass sie Leute, die Brände legen, mit Millionenbeträgen versorgt und ihnen praktisch die Benzinkanister noch in die Hand drückt. Die Feuerwehr greift auch nicht mit Lauschangriffen, Videokameras und dem Abhören von Telefongesprächen in unsere Grundrechte ein. Ich habe großen Respekt vor Feuerwehrangehörigen, weil sie teilweise unter Lebensgefahr versuchen, Brände zu löschen und Menschenleben zu retten. Während der Verfassungsschutz Verbrechern und Mördern aus der Naziszene noch dazu verhilft, sich mit falschen Pässen zu versorgen und weiterhin Straftaten zu begehen.

All das hat aber der Verfassungsschutz getan. Ich halte den Geheimdienst für eine Gefahr für die Demokratie, weil er ihre innersten Werte aushöhlt.

Als Bürgerin und Bürger weiß man nie mit Gewissheit, ob man beobachtet wird – man weiß nur: Der Dienst kann es tun, jederzeit, nach eigenem Gutdünken, und man kann das nicht kontrollieren. Weil die Überwachung allzeit möglich ist, ist sie damit auch allzeit als Instrument wirksam, um kritische Bürgerinnen und Bürger zu disziplinieren bzw. einzuschüchtern.
Und eingeschüchtert werden ja nicht nur diejenigen Nazis, die KEINE Söldner des VS sind. Der VS-Bericht enthält jede Menge linker Gruppierungen, die, weil sie gegen Nazis sind, oder gegen imperialistische Kriege, unter Staatsfeindverdacht stehen.

Last not least stehen Strömungen der Partei DIE LINKE im VS-Bericht, auch ich selbst, mit der merkwürdigen Darlegung, ich würde zahlreiche Demonstrationen anmelden usw. Ein Grund waren auch meine Kontakte zu chilenischen Exilkommunisten – das soll zeigen, dass ich angeblich unter Extremismuseinfluss stehe. Ich finde es sehr aufschlussreich, dass übrigens Franz Josef Strauß und andere Unionspolitiker, die damals den faschistischen Putschgeneral Pinochet unterstützt haben, niemals im VS-Bericht standen.
Der eigentliche Grund für die Beobachtung von Linken liegt auf der Hand: Der Verfassungsschutz will den Kapitalismus schützen, dem er gewissermaßen Verfassungsrang zubilligt. Das gibt die Verfassung allerdings ganz und gar nicht her.

Die Quintessenz ist also:
Der Verfassungsschutz ist nicht nur nicht in der Lage, die Verfassung zu schützen. Sondern er ist geradezu eine Gefahr für die Verfassung. Der Inlandsgeheimdienst ist eine Waffe, die weniger auf Verfassungsfeinde, sondern auf die Demokratie selbst gerichtet ist.

Folgerichtig ist die Demokratie eher dann geschützt, wenn man sie vor dem Verfassungsschutz bewahrt und diesen Dienst abschafft.