Artikel: Sturm auf das Asylrecht

Vor allem Politiker der CDU erwecken den Eindruck, als sei Deutschland einer Invasion von »Wirtschaftsflüchtlingen« ausgesetzt. Im vergangenen Monat beantragten rund 2400 Serben und Mazedonier Asyl in Deutschland, nachdem es im Juli 540 waren. Allerdings steigen die Zahlen kurz vor dem Winterbeginn auf dem Balkan immer an: 2010 stiegen sie von 342 im Juli auf 2564 im September, 2011 war es ähnlich.

Über 90 Prozent der Antragsteller sind Roma. Unionspolitiker wie Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann werfen ihnen »tausendfachen Asylmißbrauch« vor. Für sie sind Asylanträge von Roma per se »offensichtlich« mißbräuchlich. Dabei blenden sie kurzerhand aus, daß Roma in den Balkanstaaten die mit Abstand am stärksten diskriminierte Gruppe sind, wie etwa die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz feststellt.

Die Argumentation der Union ähnelt jener von Anfang der 1990er Jahre, als schon einmal Stimmung gegen angeblichen »Asylmißbrauch« gemacht wurde. Diese Stimmung gipfelte dann in den Pogromen von Rostock-Lichtenhagen und der weitgehenden Einschränkung des Grundrechts auf Asyl. Ziel der Angriffe waren schon damals vor allem Roma.

Auch diesmal wird der Ruf nach Gesetzesänderungen laut. Bundesinnenminister Friedrich kündigt faktisch sogar einen Verfassungsbruch an: »Wer aus sicheren Herkunftsstaaten kommt – dazu zähle ich Mazedonien und Serbien – soll künftig weniger Barleistungen erhalten«, forderte er in der Bild. Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach, schloß sich dieser Forderung an. Das Bundesverfassungsgericht hatte allerdings erst im Juli entschieden, migrationspolitische Erwägungen dürften bei der Bemessung des Existenzminimums keine Rolle spielen.

Unterdessen steigt der Druck auf die Herkunftsländer, dem angeblichen Mißbrauch der Reisefreiheit entgegenzuwirken. Beide Staaten haben mittlerweile Regelungen eingeführt oder in Planung, mit denen eine Ausreise zum Zweck der Asylantragstellung bestraft werden soll. In Mazedonien werden Pässe von Personen markiert, die im Verdacht stehen, im Ausland Asyl beantragen zu wollen. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Chachipe aus Luxemburg wurden 4000 Personen zwischen April 2011 und April 2012 an der Ausreise gehindert. Wer in der EU einen Asylantrag gestellt hat, dem kann der Reisepaß entzogen werden, was ihm faktisch die Reisefreiheit nimmt. In Serbien müssen Roma mit einer Geldstrafe rechnen, wenn sie sich bei einer mehr als 90tägigen Abwesenheit nicht bei ihrer Meldebehörde abgemeldet haben.

Im Visier haben die CDU-Politiker auch das erst 2009 geschlossene Visaabkommen mit Serbien und Mazedonien, das Visumfreiheit für Kurzaufenthalte festschreibt. Friedrich will die Visumpflicht wieder einführen. Um das abzuwehren, hat Serbien mittlerweile angeboten, die Kosten für die rund 10000 in der EU lebenden serbischen Asylbewerber zu übernehmen. Es ist zu befürchten, die serbische Bevölkerung sieht das als Signal, daß Roma ihnen zur Last fallen, politisch wie finanziell. Mit seinen Äußerungen zu Visum­pflicht und Asylmißbrauch gießt Friedrich also nicht nur Öl in das Feuer deutscher Stammtische, er bedient antiziganistische Ressentiments in den Herkunftsstaaten gleich mit.