Positionspapier: Überlegungen zur Debatte über ein Beschneidungsverbot

Der Gesetzgeber betrachtet Kinder bzw. Jugendliche schon lange vor der Volljährigkeit ab dem 14.Lebensjahr als religionsmündig. Doch werden die meisten Menschen schon im Säuglingsalter durch den Willen ihrer Eltern zu Mitgliedern einer Religionsgemeinschaft, aus der sie ab dem 14. Lebensjahr aus freier Entscheidung austreten können. Eine Taufe ist durch einen mit bürokratischen Aufwand und unter Umständen geringen Kosten verbundenen Austritt aus der evangelischen oder katholischen Kirche rückgängig zu machen. Dagegen kann eine Beschneidung auch bei einer Abwendung des betroffenen Jugendlichen vom Judentum oder Islam nicht mehr rückgängig gemacht werden. Insofern gilt es hier zu unterscheiden.
Ein generelles Beschneidungsverbot in Deutschland würde in der Praxis dazu führen, dass viele derjenigen diejenigen Familien, die es sich finanziell leisten können, ihre Kinder zur Beschneidung ins Ausland bringen. Andere würden den Eingriff von nicht medizinisch geschulten Quacksalbern unter möglicherweise unzulänglichen hygienischen Bedingungen vollziehen lassen – mit allen gesundheitlichen Risiken für die betroffenen Kinder. Ein Beschneidungsverbot würde sich hier geradezu kontraproduktiv im Hinblick auf das Kindeswohl auswirken.
Auffällig an der Debatte um das Beschneidungsverbot ist, dass einige der entschiedensten Befürworter eines solchen Verbots aus Kreisen kommen, in denen eine religiöse Beschneidung nicht üblich ist. Dagegen finden sich kaum öffentliche Verbotsbefürworter unter Menschen, die selber aus religiösen Gründen beschnitten wurden. Im besten Falle handelt es sich um ein paternalistisches Vorgehen vieler an sich wohlwollender Beschneidungsgegner. Doch es drängt sich auch der Verdacht auf, dass für viele bei dieser Debatte das Kindeswohl nur vorgeschoben wird, um antisemitischen und antimuslimischen Vorurteilen Vorschub leisten zu können. Vor dem Hintergrund der Entrechtung und Ermordung der Juden unter dem Nazifaschismus, aber auch vor der jüngeren unter fremdenfeindlichen Vorzeichen geführten Integrationsdebatte, lautet die Botschaft der Beschneidungsdebatte bei vielen jüdischen und muslimischen Menschen schlicht: Ihr seid unerwünscht in Deutschland.
Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnte ein Beschneidungsverbot mit den Worten ab: „Ich will nicht, dass Deutschland das einzige Land auf der Welt ist, in dem Juden nicht ihre Riten ausüben können.“ Nur zur Erinnerung: Auslöser des Kölner Urteils war eine Beschneidung in einer muslimischen Familie. Durch Merkels Äußerung entsteht der Eindruck, ein Beschneidungsverbot wäre rechtens, wenn es sich ausschließlich gegen einen muslimischen Ritus richten würde. Gegenüber Muslimen muss dies als Affront erscheinen.
Ich persönlich lehne die Beschneidung von Babys und Kindern aus religiösen Gründen zwar ab. Doch vor dem oben geschilderten Hintergrund halte ich ein generelles Beschneidungsverbot für ein ungeeignetes und missverständliches Mittel zum Schutze der betroffenen Kinder. Geboten ist Aufklärung über mögliche gesundheitliche Risiken – und ein Appell an die Eltern, doch mit einem solchen unwiderruflichen Eingriff zu warten, bis sich ihre Kinder ab dem 14.Lebensjahr aus freier Entscheidung für oder gegen die Religion ihrer Eltern entscheiden können.

Ulla Jelpke, 19.07.2012