AKL-Erklärung: Widerstand erfahrbar machen – DIE LINKE als soziale Bewegungspartei aufbauen

Die Antikapitalistische Linke (AKL) hat sich auf ihrer Länderratssitzung am 13. Mai mit dem Ziel der Ankerkennung als Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) der Partei DIE LINKE neu konstituiert. Dem neu gewählten BundessprecherInnenrat gehören an: Inge Höger, Ulla Jelpke, Dagmar Henn, Tobias Pflüger, Thies Gleiss, Detlef Belau. Zur Landtagswahl in NRW und den weiteren Perspektiven der Partei DIE LINKE hat der Bundessprecherinnenrat die folgende Erklärung verabschiedet:

Lehren aus der Wahlniederlage

Nach Schleswig-Holstein flog DIE LINKE auch in NRW aus dem Landtag. Das Wahlergebnis der Partei war erschütternd und ernüchternd zugleich. Eine herbe Enttäuschung ist es insbesondere für die mehr als engagierten Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer, die voller Elan um jede Stimme für ihre glaubwürdigen und sympathischen Kandidatinnen und Kandidaten gerungen haben.
Zu konstatieren ist dabei erst einmal: Das Scheitern der LINKEN ist keine Folge eines verfehlten Wahlkampfes, eines „zu radikalen“ Programms oder falscher Schwerpunktsetzung. Mit einem Schwerpunkt auf sozialen Themen hat DIE LINKE im Wahlkampf die brennenden Fragen vieler Menschen aufgegriffen. Von den bürgerlichen Monopolmedien, die in den letzten Wochen vor allem die FDP aber auch die Piraten großschrieben haben, konnten wir auch in diesem Wahlkampf keine Unterstützung erwarten. Ganz im Gegenteil hatten sie das Ziel, DIE LINKE aus dem Landtag rauszuhalten. Da das Linken-Bashing bei der letzten Landtagswahl nicht zum Erfolg geführt hatte, wurden diesmal die Ziele und Kandidaten der LINKEN eher verschwiegen – bis hin zur Wegretouchierung ihrer Spitzenkandidatin beim Bild einer „Elefantenrunde“. Verfehlt wäre es auch, den sicherlich nicht förderlichen Führungsstreit in der Bundespart ei für das schlechte Abschneiden verantwortlich zu machen. Der Führungsstreit ist vielmehr selbst eine Folge der Krise der Partei und nicht ihre Ursache.
Denn die Wahlniederlage der LINKEN in NRW – und auch in Schleswig-Holstein – hat tieferliegende Ursachen. Sie ist primär eine Folge der Vernachlässigung des Parteiaufbaus, der fehlenden außerparlamentarischen Mobilisierungen und der mangelnden gesellschaftlichen Verankerung in den westdeutschen Bundesländern. Es ist uns in NRW nicht gelungen, die halbe Millionen Wählerinnen und Wähler des Jahres 2010 für gesellschaftliche Veränderungen zu mobilisieren. Es reicht eben nicht, sich von den Wählerinnen und Wählern mit einem Mandat ausstatten zu lassen, denn auch die besten Gesetzesinitiativen haben bei fehlenden parlamentarischen Mehrheiten und fehlenden außerparlamentarischen Bewegungen und Initaitiven keine Chance auf Realisierung. Durch die Konzentration auf den Parlamentarismus, Wahlkämpfe und die Arbeit in den Kommunalparlamenten hat die Partei in NRW die Arbeit an der Basis und in den Bewegungen vernachlässigt. Bei 400 linken Kommunalmandaten auf verschiedenen Ebenen in NRW, die auf rund 8000 vielfach passive Mitglieder kamen, wurden viele Aktivistinnen und Aktivisten aus den Basisorganisationen durch die Kommunalparlamente regelrecht aufgesogen, ohne dass entsprechend Aktive nachrückten. Die Chancen gesellschaftlicher Verankerung durch die Besetzung kommunaler Positionen konnten so nicht genutzt werden, vielmehr war eine Zersplitterung und Schwächung der Parteistrukturen und der Verlust kommunaler Abgeordneter für die Partei die Folge. Gleichzeitig ist es nicht gelungen, die Masse der Parteimitglieder in die Aktivitäten hereinzuziehen oder ihnen entsprechende Möglichkeiten eines Engagements auch jenseits der zeitaufreibenden Gremienarbeit aufzuzeigen. Auch der engagierte Wah lkampf in NRW ruhte so auf vergleichsweise wenigen Schultern.
Die für bundesdeutsche Verhältnisse äußerst niedrige Wahlbeteiligung in NRW und Schleswig-Holstein von rund 60 %, das Abwandern ehemaliger LinksparteiwählerInnen ins Lager der NichtwählerInnen (vor allem im Saarland und Schleswig-Holstein, prozentual in wesentlich geringerem Maße in NRW) aber auch das Überlaufen zu den durch (schein-)rebellische Form anstelle von sozialen Inhalt glänzenden Piraten offenbart eine breite Desillusionierung sowohl gegenüber der herrschenden Politik als auch gegenüber ausschließlich parlamentarisch vermittelten gesellschaftsverändernden Projekten. Zwar haben wir in Deutschland in Folge der kapitalistischen Krise noch keine breite soziale Massenbewegung wie in einigen anderen EU-Staaten. Das Unbehagen mit dem Casino-Kapitalismus und einer Bundesregierung, die gegen die Interessen der Masse der Wählerinnen und Wähler Milliarden an die Banken verschenkt, ist enorm angewachsen. Die Occupy-Bewegung ist nur ein zarter Ausdruck dieses wesentlich tiefer sitzenden Unbehagens in breiten Bevölkerungsschichten. Dass dieses Unbehagen außer in kleineren Occupy-Aktionen und gelegentlichen Massenmails gegen den ESF noch keinen öffentlichen Ausdruck gefunden hat, liegt gleichfalls an der Desillusionierung breiter Bevölkerungsschichten in die vorhandenen Parteien und Verbände und den Parlamentarismus. Diese Desillusionierung geht aber weiter, sie lässt die Menschen auch an ihrer eigenen Kraft zweifeln. Die Aufgabe einer linken Partei ist es, überall dort, wo es Widerstand gegen eine unsoziale Politik gibt, präsent zu sein, die Menschen zu unterstützen, zu ermutigen und ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zur Veränderung zu stärken. Doch DIE LINKE vermittelte viel zu lange den Eindruck: „Wählt uns und wir werden es schon machen“. Dass die Fraktionen dies ohne eine breite Protestbewegung nicht machen konnten, hat viele Wählerinnen und Wähler enttäuscht. Auch wenn bei Protesten in diesem Lande fast immer einzelne AktivistInnen der Linkspartei dabei waren – egal, ob gegen Castor-Transporte, Nazi-Aufmärsche, Privatisierungen, Mietsteigerungen oder für Mindestlöhne -. und auch entsprechende Presseerklärungen der Partei und ihrer Mandatsträger nicht fehlten, fehlte eine systematische Mobilisierung, eine Kampagnetätigkeit sowohl zur Unterstützung vorhandener Bewegungen als auch zur Popularisierung und Durchsetzung eigener Forderungen. Im Mittelpunkt des Landtagswahlprogrammes der NRW-Linken stehen die Forderungen nach Mindestlöhnen von 10 Euro, einer Anhebung der Hartz-Sätze auf 500 Euro und die 30-Stundenarbeitswoche. Warum hat die Partei eigentlich niemals versucht, koordiniert um diese Forderungen 10-500-30 auf die Straße zu gehen, Unterschriften zu sammeln, Komitees zu bi lden etc.? Wie sollen die Wählerinnen und Wähler uns als Partei und unseren Willen zur Gesellschaftsveränderung ernst nehmen, wenn wir nicht einmal selbst aktiv für unsere Forderungen eintreten? Auch das radikalste Programm braucht Menschen, die es umsetzen.
In NRW verlor DIE LINKE 90.000 Wählerinnen und Wähler an die SPD, gefolgt von 80.000 an die Piraten. Durch die besondere politische Situation mit einer von der LINKEN tolerierten Minderheitsregierung in NRW war es der LINKEN nicht in genügendem Maße gelungen, ihr eigenes Profil zu zeigen. Die zu Neuwahlen führende verweigerte Zustimmung zum Haushalt konnte dieses Manko nicht in ausreichendem Maße ausgleichen. In die Defensive geriet DIE LINKE zudem, indem sich SPD und Grüne auf Bundesebene als Opposition gegen Schwarz-Gelb präsentierten. In dem DIE LINKE sich vor allem als Korrektiv für Rot-Grün präsentierte, war vielen ehemaligen LINKE-WählerInnen nicht mehr klar, welchen Nutzen sie von einer erneuten Wahl der LINKEN haben sollten. Auch wenn der Hauptgegner der LINKEN in der Konzern- und Bankenmacht und deren Hauptparteien CDU und FDP zu suchen ist, hätten wir uns im Wahlkampf schärfer von der SPD aber auch den Piraten absetzen müssen.
Da DIE LINKE gleichzeitig mit der Wahlniederlage in Schleswig-Holstein in Thüringen Bürgermeister- und Landratsämter mit teils beeindruckenden Mehrheiten eroberte, erklären einige ostdeutsche Landespolitiker unterstützt von der bürgerlichen Presse das Projekt einer gesamtdeutschen Linkspartei für gescheitert und plädieren zur Konzentration auf eine ostdeutsche Regionalpartei mit einem Schwerpunkt auf kommunaler Kleinarbeit. Die Ausgangsbedingungen für DIE LINKE sind auch mehr als 20 Jahre nach der Wiedervereinigung historisch bedingt in Ost und West unterschiedlich. Doch nichts wäre schädlicher, als sich heute an der imaginären Grenze „W estsektierer“ gegen ostdeutsche Volkspartei auseinanderdividieren zu lassen. Wer eine ostdeutsche Regionalpartei will, hat ein gesamtdeutsches antikapitalistisches und systemveränderndes Projekt aufgegeben und will schlicht eine andere sozialdemokratische Partei. Die Stärke der Partei DIE LINKE besteht aber gerade im Zusammenkommen von Linken unterschiedlicher Tradition und Erfahrung. Die ostdeutschen Landesverbände zeigen uns, wie eine in der Gesellschaft – in Kommunen, Landtagen, Vereinen und Verbänden – verankerte Partei mit sozialem Dienst am Menschen auch solide Wahlergebnisse einfahren kann. Es gehört zu den Aufgaben einer linken Partei, sich auch um die alltäglichen Probleme der Menschen vor Ort zu kümmern und dafür ein offenes Ohr zu haben. Kommunale Mandate können dafür eine große Hilfe sein. Aber das reicht nicht aus, um eine widerständige Partei zu sein und zu bleiben. Denn all zu leicht geht so der Blick auf den Gesamtzusammenhang, das große Ganze, auf die Einbindung der Kommunen in die kapitalistische Gesellschaft und die daraus resultierenden „Sachzwänge“ verloren.
Nichts wäre falscher, als sich jetzt medienwirksam in einer weiteren Führungsdebatte zu verheizen. Aus den Niederlagen in Schleswig-Holstein und NRW gilt es vor allem die Schlussfolgerung zu ziehen, die Partei DIE LINKE auf einem soliden Fundament aufzubauen. Das wiederum kann nur bedeuten, sich nicht auf unsichere konjunkturbedingte Parlamentsposten zu verlassen, sondern auf die Schaffung von auf Dauer lebendigen und kampagnefähigen Basisorganisationen, auf eine wirkliche Verankerung in Betrieben und Gewerkschaften, auf das Engagement unserer vielen Aktivistinnen und Aktivisten in außerparlamentarischen Bewegungen.
Das Scheitern der LINKEN in Schleswig-Holstein und NRW widerspricht dem europäischen Trend. In Frankreich und Griechenland haben Parteien links von der Sozialdemokratie stark in der Wählergunst gewonnen. Noch sind die Folgen der Finanz- und Eurokrise, die in Wahrheit eine Krise des kapitalistischen Systems ist, nicht mit voller Macht in Deutschland angekommen. Doch wenn in Zukunft auch hierzulande die Folgen der Krise bei Millionen unmittelbar spürbar werden und die soziale Polarisierung abermals zunimmt, werden die sozialen Verwerfungen neue Chancen für DIE LINKE bieten. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass es uns bis dahin glaubhaft gelingt, uns als soziale und widerständige Bewegungspartei sowohl mit einem praktischen Nutzen im Alltag der Menschen als auch mit einer zukunftsweisenden antikapitalistischen Vision zu verankern. Packen wir es an!

Ein erster Schritt sollte in einer massenhaften Beteiligung DER LINKEN an den Aktionen von Bloccupy vom 16. bis 19. Mai in Frankfurt bestehen.