Rede im Bundestag: Zivilcourage gegen Nazis statt Diffamierung antifaschistischen Protestes

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was die rechte Seite des Hauses hier heute wieder bietet, zeigt, wie Sie Rechtsextremismus weiterhin verharmlosen. Sie versuchen, Opfer zu Tätern umzudefinieren, indem Sie sagen, dass sie entweder etwas mit Gewalttätern zu tun hätten oder dass sie Extremisten seien. Darin sind Sie schon recht geübt. Das haben wir bei den NSU-Morden gesehen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Unerträglich! Das ist eine Schweinerei jetzt!)
Es ist wirklich ein Skandal, wie Sie hier auftreten.
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist üblich in diesem Haus, dass wir hier insbesondere an Gedenktagen Reden gegen den Rechtsextremismus hören. Am 27. Januar hat der Bundestagspräsident sehr richtige Worte gefunden, als er sagte: Es gibt viele Menschen – beispielsweise Menschen, die in Vereinen organisiert sind -, die den Rechtsextremen, die durch ihre Städte marschieren wollen, immer wieder entgegentreten. Es sind Menschen, die Zivilcourage beweisen, nicht wegsehen und Diskriminierung nicht unwidersprochen stehen lassen. Es sind Menschen, die ein Beispiel geben und Mut machen.
(Beifall bei der LINKEN)
Auch ich, meine Damen und Herren, habe es am letzten Wochenende in Münster sehr ermutigend gefunden, dass Tausende von Münsteraner Bürgerinnen und Bürgern gegen die Nazis auf die Straße gegangen sind und dass vor allem die Anwohner den Nazis, die durch ihre Straßen gingen, mit Transparenten deutlich gemacht haben: Nazis raus! Ihr habt in unserem Land nichts zu suchen!
(Beifall bei der LINKEN)
Doch der staatliche Umgang mit Zivilcourage gegen rechts ist leider ein ganz anderer als der, der oft in Festtagsreden beschworen wird. Die Polizeiwillkür, die unsere Kollegin Ingrid Remmers in Münster am eigenen Leib erfahren musste, ist leider nur die Spitze des Eisberges.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Warum war das denn Willkür?)
Viele junge Menschen, die auf die Straße gehen, müssen diese Polizeiwillkür erleben und werden nicht selten angegriffen. Daher muss man diese Vorkommnisse ernst nehmen, darf sie nicht verharmlosen und darf nicht sagen, das sei alles nicht so schlimm.
(Beifall bei der LINKEN)
Hier muss man vielleicht auch noch einmal deutlich sagen: Sie sollten von dem Polizeipräsidenten in Münster lernen. Immerhin hat er sich dafür entschuldigt, was seine Polizisten dort veranstaltet haben.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, damit es ganz klar ist: Schuld sind keineswegs nur die übereifrigen Polizisten. Die Bundesregierung selbst – das haben wir heute hier gehört – stellt den Antifaschismus unter extremistischen Generalverdacht.
(Beifall bei der LINKEN – Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Jetzt bin ich die Bundesregierung!)
Der Fisch stinkt, wie wir wissen, vom Kopfe her. So heißt es beispielsweise auf der Webseite des Verfassungsschutzes – Zitat -:
Der „Antifaschismus“ zielt nur vordergründig auf die Bekämpfung rechtsextremistischer Bestrebungen.
(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Das stimmt doch in weiten Bereichen!)
Vielmehr bekämpfen Linksextremisten … die freiheitliche demokratische Grundordnung als „kapitalistisches System“,
(Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Das steht auch auf den Antifa-Seiten!)
um deren angeblich immanente Wurzeln des „Faschismus“ zu beseitigen.
Mit anderen Worten: Wer gegen Nazis auf die Straße geht, der steht in den Augen der Bundesregierung offenbar schon mit einem Fuß außerhalb des Grundgesetzes.
(Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Das ist doch ein Unsinn, Frau Jelpke!)
Nach dieser Maxime knebelt übrigens die Familienministerin, die bei dieser Debatte nicht anwesend ist, die zahlreichen bürgerschaftlichen Projekte gegen Rechtsextremismus mit der Extremismusklausel. Es ist heute schon mehrfach gesagt worden, dass diese Klausel weg muss.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Nach dieser Maxime prügeln auch Polizisten in Münster und andernorts Nazis den Weg frei. Das muss man ganz klar so sagen. Das ist staatlicher Anti-Antifaschismus in Reinform.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich fordere Sie auf: Lesen Sie, was die Nazis auf ihren Homepages schreiben, dann stellen Sie nämlich fest, dass sich die Nazis eins ins Fäustchen lachen.
Tausende Antifaschisten waren in den letzten Jahren aktiv, sie haben sich zum Beispiel im Februar in Dresden dem größten Naziaufmarsch seit Jahren entgegengestellt. Was war die Antwort der staatlichen Seite? Knüppel, Tränengas und ein Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung,
(Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Das stimmt doch gar nicht!)
und zwar nicht gegen Nazis, sondern gegen Antifaschisten. Millionen von Handydaten von unbescholtenen Bürgern wurden gespeichert. Die Immunität mehrerer Landtagsabgeordneter wurde aufgehoben, weil sie zur Blockade des Naziaufmarsches aufriefen.
(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Sendungsbewusstsein, oder was?)
Das ist die traurige Realität, wenn Bürger gegen Nazis aktiv werden. Daran wird sich auch nichts ändern, solange kein Umdenken bei der Regierung und auf der rechten Seite des Hauses stattfindet, solange Sie in Ihrer ideologischen Verbohrtheit
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)
Antifaschismus für eine Einstiegsdroge zur Revolution halten
(Beifall bei der LINKEN)
und solange Sie weiterhin beide Augen vor dem alltäglichen Terror der Nazibanden verschließen. Leider ist es Realität, dass Sie jahrelang vor dem Problem des rechten Terrors beide Augen verschlossen haben.
(Beatrix Philipp (CDU/CSU): Das glauben Sie doch selbst nicht! Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Nein, also bitte!)
Seit 1990 haben wir über 160 Tote zu beklagen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Kommen Sie bitte zum Schluss.
(Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Ja, Sie sind am Ende!)
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Ich komme zu meiner letzten Bemerkung. In diesem Jahr verzichten die Nazis übrigens erstmals darauf, in Dresden zu marschieren. Das ist einzig und allein der Erfolg der Blockaden gewesen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich kann Sie daher nur aufrufen: Beteiligen Sie sich an den Blockaden gehen die Nazis!
(Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Aufruf zur Straftat!)
Das ist die Sprache, die diese nicht gerne hören.
(Beifall bei der LINKEN)