Rede: Abzug der deutschen Polizei aus Afghanistan

159. Sitzung des Bundestages, 10. 2. 2012,
Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE

Abzug deutscher Polizisten aus Afghanistan
– Drucksachen 17/4879,

Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Je länger
wir uns mit dem Polizeiaufbau in Afghanistan befassen,
desto mehr müssen wir erkennen: Er dient nicht
dem Schutz der dortigen Bevölkerung, sondern ist eine
Facette des Militäreinsatzes.
(Beifall bei der LINKEN)
Viele Polizisten bedeuten nicht viel Sicherheit. Im
Gegenteil: Der UN-Flüchtlingskommissar hält fest – ich
zitiere –: Die wachsende Zahl bewaffneter Pro- wie
Antiregierungskräfte lässt das Gefühl von Unsicherheit,
Anspannung und Furcht bei den afghanischen Zivilisten
ansteigen. – Auch die Pro-Kräfte schaffen Unsicherheit.
Deshalb fordern wir, die deutsche Hilfe für den Polizeiaufbau
endlich zu beenden.
(Beifall bei der LINKEN)
Menschenrechtsorganisationen sind sich einig: Die
afghanische Polizei ist korrupt und gewalttätig gegen die
eigene Bevölkerung. Sie misshandelt und foltert Festgenommene.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das wird alles besser, wenn wir die
Ausbildung einstellen? Das ist eine Logik!
Unglaublich!)
Sie kassiert an Checkpoints Schmiergelder und Wegegelder.
Sie raubt und vergewaltigt und mordet bei Hausdurchsuchungen.
Sie steht im Dienst von Warlords.
Selbst der US-Sondergeneralinspekteur stellt einen
Konsens in der afghanischen Bevölkerung darüber fest,
dass die Polizei hochgradig korrupt und eng mit kriminellen
Machthabern verzahnt ist.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Na so was! Deswegen nehmen wir
Reißaus!)
– Das kann man nachlesen, Herr Wieland. – Sogar das
schwedische Militär warnt mittlerweile, das Verhalten
der sogenannten Sicherheitskräfte treibe die Bevölkerung
erst recht in die Arme der Aufständischen. Auch
das zeigt, Herr Wieland: Die NATO-Politik ist auf ganzer
Linie gescheitert.
(Beifall bei der LINKEN – Günter Baumann
[CDU/CSU]: So ein Blödsinn! – Wolfgang
Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die
deutsche Polizei im NATO-Einsatz!)
Im deutschen Sektor in Nordafghanistan wurde vorigen
Sommer General Abdul Wahid Rahman, übrigens
auch als Baba Jan bekannt, zum Polizeikommandeur ernannt.
Die Frauenrechtsorganisation RAWA in Afghanistan
kennt ihn – Zitat – als „brutalen Menschenrechtsverletzer,
der an Plünderungen und Morden beteiligt
war“. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights
Watch beschuldigt ihn der Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung.
Die Bundesregierung verwies in der
Antwort auf eine Anfrage von mir auf die Zuständigkeit
der afghanischen Justiz. Das ist wirklich ein schlechter
Witz. Schließlich beklagen Menschenrechtsorganisationen
und UNO-Instanzen unisono die allgemeine Straflosigkeit.
Die Bild-Zeitung hat vor zwei Monaten einen inzwischen
ermordeten Polizeichef namens Daud Daud erwähnt,
der nach Angaben des BND in Afghanistan ebenfalls
in Drogengeschäfte verwickelt ist. In der Zeitschrift
Die Bundeswehr lese ich über einen Anführer der soge-
nannten Afghanischen Lokalen Polizei – Zitat –: „Wer
nicht spurt, den peitscht er aus.“ Das sei zwar „gewöhnungsbedürftig,
aber da halten wir uns raus“. So sieht
der angebliche Aufbau der Demokratie bzw. des Rechtsstaats
aus. Das können wir wirklich nicht mittragen. Damit
muss Schluss sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Diese Verbrechen sind kein Einzelfall, sondern liegen
in der Natur der Sache. Da werden junge Männer nach
acht Wochen Kurzausbildung ohne Abschlussprüfung
mit Uniform und Waffen versehen. 90 Prozent von ihnen
sind im Übrigen Analphabeten und sollen Gesetze
durchsetzen, die sie noch nicht einmal lesen können.
Warum läuft das so? Weil die NATO das genau so haben
will. Sie will keine rechtsstaatliche Kraft aufbauen, sondern
bloß eine einheimische Truppe zur Intensivierung
des Bürgerkrieges.
(Günter Baumann [CDU/CSU]: So ein
Quatsch! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Die Rote Armee muss wiederkommen!
Die NATO kann das nicht!)
Auch die Bundesregierung – Herr Wieland, lesen Sie unsere
Große Anfrage – schreibt in ihrer Antwort, dass
eine Ausbildung im militärischen Sinne notwendig ist.
Wir sprechen den deutschen Polizisten nicht ihre ehrlichen
Absichten ab – damit das ganz klar ist –,
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Aber es sind offenbar alles Trottel, die
da sind!)
aber ihr Einsatz ist zum Scheitern verurteilt, weil die
NATO nicht auf Demokratie, sondern auf die Stärkung
eines korrupten Regimes setzt.
(Beifall bei der LINKEN)
Es gibt nur einen einzigen Weg aus dieser Situation:
Es muss eine Antikriegspolitik geben. Ziehen Sie nicht
nur die Bundeswehr aus Afghanistan ab, sondern auch
die Polizei! Holen Sie die Polizisten aus Afghanistan zurück!
Das ist die einzige Lösung, die es zurzeit gibt.
(Günter Baumann [CDU/CSU]: Das ist überhaupt
keine Lösung!)
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN)

1704879_Antrag_Abzug_AFG.pdf