Artikel: Abschiebehaft rechtswidrig

Entgegen anderslautender EU-Richtlinien werden Flüchtlinge in Abschiebehaft in Deutschland weiter wie Strafgefangene behandelt. Zu diesem Ergebnis kommen die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl und die Martin-Niemöller-Stiftung in einer am Mittwoch vorgestellten Dokumentation. Die Untersuchung enthält einen ausführlichen vergleichenden Überblick zu 16 Haftanstalten sowie eine Kommentierung hinsichtlich der Umsetzung der EU-Rückführungsrichtlinie. Schätzungsweise 8000 Personen befanden sich nach den vorgelegten Zahlen 2010 in Abschiebegefängnissen.

Die EU-Richtlinie macht einige Mindestvorgaben, die von den Mitgliedsstaaten umzusetzen sind. Abschiebehäftlinge sollen demnach grundsätzlich außerhalb des Strafvollzugs in speziellen Hafteinrichtungen untergebracht werden. Bernd Mesovic von Pro Asyl stellt klar: »Wenn Abschiebungshaft überhaupt vollzogen werden muß, dann müssen sich die Bedingungen dieser Haft deutlich von denen der Strafhaft unterscheiden.« Die Vorgaben der EU-Abschieberichtlinie werden aber »von der Bundesregierung nicht ausreichend umgesetzt. Die Regelung, daß Abschiebungshaft nicht im Strafvollzug stattfinden soll, wurde in Deutschland ignoriert«. Lediglich vier der 16 untersuchten Gefängnisse sind keine Justizvollzugsanstalt (JVA). Aber auch in separaten Abschiebehafteinrichtungen ähneln die Bedingungen dem Strafvollzug. Ein Beispiel sind die Zellenzeiten: Die Flüchtlinge haben oft nur zwei Stunden Hofgang.

Die selbständige Zubereitung von Mahlzeiten ist nur in vier Einrichtungen möglich, in sieben der JVA gibt es noch nicht einmal eine Teeküche. In München dürfen sich die Gefangenen nur zwei bis dreimal in der Woche duschen, lediglich in Berlin und Dresden ist das zu jeder Zeit möglich. Nur in Frankfurt/Main können die Abschiebehäftlinge ihre Wäsche selber waschen – in München, Suhl und Rendsburg müssen sie ohnehin Häftlingskleidung tragen. Besonders kraß drückt sich die strafhaftähnliche Behandlung bei den Besuchszeiten aus. Einzig in Eisenhüttenstadt ist durchgängig Besuch erlaubt, in einigen Haftanstalten hingegen lediglich für wenige Stunden im Monat. Die Kommunikation mit der Außenwelt ist dadurch stark beschränkt – hinzu kommen Handyverbote und fehlender Zugang zu Anstaltstelefonen.

»Haftvermeidung und Alternativen zur Haft wären der weitaus größte Beitrag zur Verminderung des Elends«, weist Pro Asyl auf ein weiteres Defizit der Richtlinienumsetzung hin. Im Aufenthaltsgesetz wird die Abschiebungshaft nämlich als »unzulässig« bezeichnet, wenn die Sicherung der Ausreise durch »ein milderes, ebenfalls ausreichendes Mittel« gewährleistet werden kann.

Weitere Forderungen von Pro Asyl richten sich auf den Zugang von Vertretern unabhängiger Beratungsstellen zu den Abschiebehäftlingen und eine unabhängige, staatlich finanzierte Rechtsberatung in den Anstalten. Derzeit findet eine Information zu juristischen Fragen häufig nur auf ehrenamtlicher Basis und in wenigen Stunden der Woche statt. Dabei sind gerade Abschiebehäftlinge auf entsprechende Hilfe angewiesen. In einem Drittel der Fälle, so Pro Asyl, seien Klagen erfolgreich, die Abschiebehaft also rechtswidrig verhängt worden.

Für Mai 2012 erwartet die Bundestagsfraktion Die Linke die Antwort der Bundesregierung auf eine große Anfrage. Auch darin geht es um die Situation in der Abschiebehaft und die Umsetzung der EU-Richtlinie.