Kommentar: Warum wir beobachtet werden

Während der Verfassungsschutz vorgibt, „in alle Richtungen“ zu beobachten und nicht nur die NPD, sondern – mit nur unwesentlich weniger Ressourcen – ganz „ausgewogen“ auch DIE LINKE ins Visier nimmt, konnte das nazistische Mördertrio des „NSU“ jahrelang zehn Menschen umbringen. Unerkannt, oder sagen wir lieber: unbehelligt. Denn wie sich peu à peu herausstellt, hatten diverse Sicherheitsbehörden immer wieder Kontakt zu ihnen, sie haben sie nur nicht festgenommen beziehungsweise sie einfach laufen lassen. Die Brutstätte dieser Nazimörder, der Thüringer Heimatschutz, hatte der Verfassungsschutz jahrelang zu infiltrieren vorgegeben. Tatsächlich hat er dessen Nazikader lediglich mit einigen zehntausend DM subventioniert. Von dieser Geheimdienst-Praxis profitiert ja auch die NPD.

Das Beharren konservativer Politiker auf der „Extremismusdoktrin“ ist nicht nur wissenschaftlich unhaltbar und politisch dumm, sondern hat auch äußerst fatale Folgen. Der Bundesinnenminister lässt DIE LINKE beobachten, denn: Täte er dies nicht, müsste er seiner eigenen Logik zufolge auch die Beobachtung der NPD einstellen. Mit der Gleichsetzung von Rechts und Links will Friedrich beweisen, dass er nicht auf einem Auge blind sei – ist er nicht, er sieht nur alles durch seine ganz speziell gefärbte Brille.

Doch was ist nun eigentlich das „Extremistische“ an der LINKEN oder an meiner persönlichen Arbeit als Abgeordnete? Aufschluss darüber könnte meine Verfassungsschutz-Akte geben, oder besser: Der Auszug daraus, den mir der Geheimdienst vor fünf Jahren auf Antrag zugesandt hat. Darin hat der Geheimdienst festgehalten, dass ich „mehrfach Kontakte zu ausländischen Personen und Organisationen mit Bezügen zum Linksextremismus“ unterhalten hätte. Oha, eine Kontaktschuld: Zum Beispiel habe ich mich einmal mit „ehemaligen politischen Häftlingen in Chile“ getroffen. Ja, das waren Linke, die in den 1970er Jahren in Haft genommen worden waren. Damals hatte ein gewisser Augusto Pinochet gegen die gewählte Regierung geputscht und ein faschistisches Militärregime etabliert. Politiker von FDP und CDU/CSU waren voller Bewunderung für Pinochets „Ordnungssinn“. CSU-Chef Franz-Josef Strauß verharmloste Folter als „unfeine Behandlung“. CDU-Generalsekretär Bruno Heck lobte die schöne Unterbringung der Gefolterten in sonnigen Fußballstadien. Das alles war natürlich in keiner Weise extremismusverdächtig. Aber wehe, ich treffe die ehemaligen Folteropfer.

Festgehalten wurde auch, dass ich mehrmals in Türkisch-Kurdistan war, „wo Sie sich an nicht genehmigten Newroz-Feiern beteiligten und durch türkische Sicherheitskräfte verhaftet wurden“. Die türkischen Sicherheitskräfte, ausgebildet und ausgerüstet von deutschen Bundesregierungen aller Couleur, unterdrücken die kurdische Bevölkerung. Aber die Extremistin bin wieder einmal ich?

Und so geht es weiter. Harmlosigkeiten wie die Anmeldung von Demonstrationen werden notiert (wenn es wenigstens illegale Demos gewesen wären!), und politische Meinungsäußerungen wie die eingangs zitierte. Wenn überhaupt, kann man hier nur vom „Extremismus der Mitte“ sprechen. Ich bin davon überzeugt, dass der Geheimdienst beziehungsweise die beauftragende Bundesregierung DIE LINKE nicht für verfassungsgefährdend halten. Aber: Anders als andere Parteien im Parlament haben wir nicht unseren Frieden mit dem kapitalistischen Profitsystem gemacht, nicht mit der Verarmung von Arbeitslosen und prekarisierten Leiharbeitern, nicht mit Bundeswehreinsätzen in aller Welt. Deshalb wird DIE LINKE beobachtet: Weil sie eine Gefahr für die etablierte Herrschaftsweise werden könnte, und deswegen präventiv diffamiert werden soll. Der Verfassungsschutz degeneriert so zum Mittel der Parteipolitik.

Das Üble daran ist weniger, dass ein Teil des Schmutzes, mit dem wir beworfen werden, an uns haften bleiben könnte. Dreckiger sind die Hände der anderen. Aber der Kampf gegen die tatsächliche Gefährdung der Demokratie leidet darunter extrem. Der Feind steht rechts – das sollte unter Demokraten heute klar sein.