Artikel »Kampf um die Straße«

Die Auseinandersetzungen um den Naziaufmarsch im Februar in Dresden zielten auf ein zentrales Feld extrem rechter Politik: Demonstrationen und Aufmärsche sind ein wichtiges Mittel der Nazis, ihre Themen in die Öffentlichkeit zu tragen, als politische Akteure in Erscheinung zu treten, Anziehungskraft für jugendlichen Nachwuchs zu entfalten und eigene Macht und Stärke zu demonstrieren. Insofern zielt eine antifaschistische Politik, die sich zum Ziel setzt, symbolträchtige Aufmärsche der extremen Rechten zu verhindern, auf einen wichtigen und richtigen Punkt. Die Reaktionen innerhalb der rechten Szene nach Niederlagen wie in in diesem und im vergangen Jahr in Dresden zeigen, daß eine solche Politik Spuren hinterläßt und zu Verunsicherungen führt. Angesichts der großen Zahl von kleinen und mittleren Aufmärschen der Nazis mit einer Teilnehmerzahl zwischen 100 und 300 darf man sich über die Reichweite antifaschistischer Verhinderungspolitik jedoch keinen Illusionen hingeben. Im Vergleich zu den neunziger Jahren verharrt die Anzahl rechter Aufmärsche seit mehreren Jahren auf einem hohen Niveau.
Propaganda- und Machtfunktion

Die Wirkung von Demonstrationen zielt sowohl auf die Naziszene selber als auch auf deren Gegner und die Gesellschaft. Zum einen festigen Aufmärsche den Zusammenhalt unter Neonazis. Durch Demonstrationen solle »ein Solidarisierungseffekt vor allem unter jungen Nationalisten erreicht werden«, schrieb ein NPD-Stratege im Jahr 2000, »indem diesen Erfolgserlebnisse geboten werden, die (…) monatelange Motivation bieten, in der eigenen Region nationalpolitisch tätig zu werden, das heißt: Sympathisanten anzusprechen und aufzuklären, Mitstreiter zu werben, Öffentlichkeitsarbeit zu leisten«.1 Wer an einem Naziaufmarsch teilnimmt, bekennt sich damit auch öffentlich zur Bewegung, denn er muß damit rechnen, sich im Kollegen-, Mitschüler- und Bekanntenkreis zu rechtfertigen. Aus Mitläufern und Sympathisanten werden so Aktivisten, die sich in der Organisation der Aufmärsche als Führungskader beweisen können. Nach innen zielt die »Demonstrationspolitik der neofaschistischen Bewegungskader darauf ab, ein Emo­tionskollektiv zu schaffen, das der Rekrutierung neuer Bewegungsmitglieder ebenso dienlich sein soll wie der Stabilisierung der kollektiven Identität der Bewegung, der Auswahl von Nachwuchskadern sowie der Formierung spezifischer Weltbilder und innerer Haltungen«2, faßt der Düsseldorfer Sozialwissenschaftler Fabian Virchow zusammen.

Aufmärsche sind für Neonazis nach außen ein probates Mittel, um sich überhaupt erst in der Öffentlichkeit bekanntzumachen. Dabei setzen sie auf Provokation, beispielsweise durch Banner mit der Aufschrift »Nationaler Sozialismus«. Die Medien sollen gezwungen werden, sich mit faschistischen Themen und Positionen auseinanderzusetzen – auch wenn sie diese negativ kommentieren. In einem nächsten Schritt geht es darum, die Öffentlichkeit mit einer Vielzahl von Aufmärschen an das Vorhandensein der Faschisten zu gewöhnen und damit eine scheinbare Legitimität zu erzeugen. »Neben dieser Propagandafunktion haben die Aufmärsche zunehmend eine Machtfunktion, das heißt, sie sollen dem politischen Gegner beziehungsweise staatlichen Institutionen zeigen, daß die neofaschistische Bewegung die reale oder imaginäre Vorherrschaft ›der Linken‹ in bestimmten Städten oder Stadtteilen offensiv in Frage stellt beziehungsweise willens ist, Entscheidungsträger in Politik, Verwaltung und Polizei unter Druck zu setzen«.3 Gerade mit Demonstrationen durch linksalternative Stadtviertel oder durch Viertel mit einem hohen Migrantenanteil knüpfen Neofaschisten direkt an die provokanten Märsche der SA durch »rote« Arbeiterviertel in den 20er und frühen 30er Jahren an. »Wir gestehen offen: Unser Ziel war die Eroberung der Straße. Mit der Straße wollten wir die Massen und das Volk für uns gewinnen. Und am Ende dieses Weges stand die politische Macht.«4 So beschrieb Reichspropagandaminister Joseph Goebbels in seiner Schrift »Kampf um Berlin« eine Taktik der faschistischen Bewegung.

Neue Offensive

Nach der Befreiung vom Faschismus 1945 verzichteten Alt- und Neonazis in der Bundesrepublik jahrzehntelang weitestgehend auf öffentlichkeitswirksame Aufmärsche. Die noch auf ein bürgerliches Profil bedachte NPD lud ihre Anhänger seit den 60er Jahren ebenso zu Großveranstaltungen in geschlossenen Hallen wie später die Deutsche Volksunion, DVU. Beliebter Ort für neonazistische Großkundgebungen war seit Anfang der 80er Jahre die 1935 von den Nazis erbaute und im Jahr 2000 abgerissene Nibelungenhalle in Passau. Lediglich kleine, offen neonazistische Gruppierungen wie die Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS) um Michael Kühnen setzten auf spektakuläre Aktionen in der Öffentlichkeit. Noch in einem Anfang der 1990er Jahre innerhalb der Neonaziszene kursierenden »Handbuch für Aktivisten« wurde Demonstrationen keine große Rolle eingeräumt. Erst ab der zweiten Hälfte der 90er Jahre entwickelte sich wieder eine neofaschistische Demonstrationspolitik mit strategischer Ausrichtung. Als Fanal galt hier der 1. März 1997, als über 5000 Alt- und Neonazis in München gegen die Ausstellung »Vernichtungskrieg: Verbrechen der Wehrmacht« demonstrierten. Zwar wurde dieser bis dahin größte Naziaufmarsch der Nachkriegszeit kurz vor der Schlußkundgebung von über 15000 Antifaschisten gestoppt, doch führende NPD-Kader sprachen anschließend von einem »psychologischen Durchbruch« nach Jahren staatlicher Verbote. Dieses »neue Selbstbewußtsein« machte sich in einer Vervierfachung der jährlichen Aufmärsche von 25 auf 102 und einer guten Verdreifachung der absoluten Teilnehmerzahlen von 8945 auf 28387 zwischen 1997 und 2004 bemerkbar. Die größte Zahl der Aufmärsche in diesem Zeitraum befaßt sich mit dem Thema »Repression gegen rechts«, also der Thematisierung der staatlichen oder bürgerschaftlichen Behinderung rechter Umtriebe (123 Aufmärsche), gefolgt von den Themen »Antikapitalistische Demagogie/­Soziale Frage/Globalisierung« (101 Aufmärsche) und NS-Themen (s. ., 68 Aufmärsche).5

Die durch den Zustrom von Kadern verbotener neonazistischer Gruppierungen und der »Kameradschaften« zur »Bewegungspartei« radikalisierte NPD übernahm den »Kampf um die Straße« ausdrücklich in ihr Drei-Säulen-Konzept neben dem Kampf um die Köpfe und die Parlamente. Da die Partei »kaum finanzielle Förderer« habe und somit über zu wenige andere Kommunikationswege verfüge, sieht die NPD in der »Mobilisierung der Straße« die Möglichkeit, Massenwirkung für ihre Ideen zu gewinnen. Ausdrücklich wird dabei die Zusammenarbeit mit neonazistischen Skinheadgruppen betont, »wenn sie bereits sind, als politische Soldaten zu denken und zu handeln«.6 Im Unterschied zu den Kameradschaften verfügt die NPD dabei über das Parteienprivileg, so daß ihre Aufmärsche kaum zu verbieten sind. Während des schließlich aufgrund der Durchsetzung der Partei mit V-Leuten des Verfassungsschutzes 2003 gescheiterten Verbotsverfahrens verfügte die NPD-Führung allerdings einen Demonstrationsstopp zur Vermeidung negativer Schlagzeilen. In den Augen der Kameradschaften wurde dies als opportunistische Anpassung an das »System« mißbilligt.

Mobilisierungskraft

Seit 2008 fragt die Bundestagsfraktion Die Linke die Regierung vierteljährlich nach Aufmärschen der extremen Rechten. Daß diese auf den Angaben der Sicherheitsbehörden der Länder beruhenden Angaben mit Vorsicht zu genießen sind, zeigt die Tatsache, daß in einer Übersicht der Bundesregierung über die Jahre 2005 bis 2007 ausgerechnet die in diesen Jahren größten Naziaufmärsche des Jahres in Dresden fehlten. Auf Nachfrage antwortete die Bundesregierung, es handele sich um ein Versehen.

Sieht man sich die Entwicklung der Aufmärsche seit 2005 an, dann erkennt man nach einem absoluten Höhepunkt 2005 (187 Aufmärsche) eine absteigende Kurve, unterbrochen vom Jahr 2009, in dem noch einmal 137 rechte Aufmärsche zu verzeichnen waren. Auch der Blick auf die absoluten Teilnehmerzahlen zeigt diese Kurve, wenngleich das Jahr 2010 deutlich macht, daß auch mit einer deutlich geringeren Zahl an Aufmärschen eine insgesamt hohe Mobilisierung erreicht wurde. Die extreme Rechte ist offensichtlich problemlos in der Lage, im Schnitt mehr als 25000 Menschen im Jahr zu mobilisieren.

Die Mobilisierungskraft hängt dabei eng mit der thematischen Ausrichtung der Demonstrationen zusammen. Gerade bei Aufmärschen mit mehr als 500 Teilnehmern wird deutlich, daß Verherrlichung des Faschismus nach wie vor zentraler Bezugspunkt der Szene ist. Nachdem es 2005 überhaupt nur bei Demonstrationen mit NS-Bezug gelang, mehr als 1000 Menschen zu mobilisieren, hat sich das Spektrum großer Veranstaltungen erweitert. Zieht man die hier eingerechneten Musikveranstaltungen wie »Fest der Völker« und »Rock für Deutschland« sowie das Pressefest des NPD-Organs Deutsche Stimme ab, dann bleiben die zentralen Aufmärsche zum 1.Mai, der Mißbrauch des Weltfriedenstages als »Nationaler Antikriegstag« in Dortmund und eine Demo zum Thema Globalisierung in Leipzig. Die geringe Zahl an größeren Aufmärschen– zwischen acht und maximal dreizehn im Jahr– verdeutlicht, daß die Masse der Naziaufmärsche dezentral und im kleinen Rahmen stattfindet.

Im Vergleich mit dem Untersuchungszeitraum vor 2005 läßt sich beim zentralen Thema der Naziaufmärsche eine interessante Kontinuität feststellen: Auch im Zeitraum 2005 bis 2010 nimmt das Thema »Repression gegen rechts« den ersten Platz bei der Anzahl der Aufmärsche ein (117), gefolgt von NS-Verherrlichung (116) und der sozialen Frage beziehungsweise »Antikapitalismus« von rechts (111). Im Jahr 2005, als die Proteste gegen Hartz IV ihren Ausgang nahmen, fanden allein 38 Demonstrationen zum Thema »soziale Frage« bzw. »Antikapitalismus« statt. Die insgesamt hohe Zahl an Aufmärschen 2005 (187) hat ihren Grund sicherlich hier. Kontinuierlich hat dieses Thema jedoch für die Neonazis an Bedeutung verloren, nimmt aber 2010 immerhin noch den dritten Platz ein. Die hohe Zahl an Aufmärschen zum Thema Globalisierung im Jahr 2007, dem Jahr des G-8-Gipfels in Heiligendamm, verdeutlicht, wie die Nazis versuchen, aktuelle Themen für sich nutzbar zu machen.

Schließlich zeigt ein Blick auf die regionale Verteilung der Demonstrationen, daß die extreme Rechte fast im gesamten Land mobilisierungsfähig ist. Die meisten Aufmärsche finden in Nordrhein-Westfalen statt, gefolgt von Bayern. Eine hohe Frequenz findet sich auch in kleineren beziehungsweise bevölkerungsärmeren Ländern wie Thüringen, wo es eine gefestigte rechte Szene oder eine aktionsfähige NPD gibt. Auch wenn die Kameradschaften häufiger als Veranstalter auftauchen, dürfte die NPD zumindest für die größeren Aufmärsche eine enorme Bedeutung haben. Für die Rechtspartei wichtige Wahlkämpfe 2009 in Brandenburg, Sachsen, Thüringen und dem Bund schlagen sich auch in der Demofrequenz in einzelnen Bundesländern nieder.
Halbe – Wunsiedel – Dresden
Die Ziele der NS-Verherrlichung und der gleichzeitigen Verharmlosung der faschistischen Verbrechen finden sich bei den seit Ende der 80er Jahre zentralen Aufmärschen. Den Anfang machte hier der seit 1988 jährlich um den Todestag von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß am 17. August durchgeführte Gedenkmarsch im fränkischen Wunsiedel, wo der 1946 vom Nürnberger Tribunal verurteilte Kriegsverbrecher begraben ist. Nahmen 1988 nur 120 Alt- und Neonazis teil, so wuchs deren Zahl in den folgenden Jahren auf bis zu 2500 aus dem ganzen Spektrum von Kameradschaften bis NPD und Delegationen ausländischer faschistischer Organisationen an. Aufgrund kurzfristiger Verbote wichen die Nazis dabei mehrfach in andere Städte oder sogar ins Ausland aus. Ab 1994 mobilisierten Antifaschisten bundesweit zu Blockaden und Demonstrationen gegen den Heß-Marsch. Da gleichzeitig die Polizei Verbote konsequent umsetzte und etwa 1997 bundesweit rund 500 Neonazis festnahm, ging die Bedeutung des Heß-Gedenkens stark zurück. Im Jahr 2001 wurde eine vom Neonazi Jürgen Rieger in Wunsiedel angemeldete Demonstration nach einem erstinstanzlichen Verbot vom Bayerischen Verwaltungsgericht mit der Begründung genehmigt, es ginge von ihr keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Ausdrücklich berücksichtigte das Gericht die damalige Schwäche der antifaschistischen Gegenmobilisierung, die etwa einen polizeilichen Notstand als Verbotsgrund ausschloß. In der Folge beteiligten sich Tausende Nazis an den Aufmärschen, die ab 2004 auf den Widerstand der Kampagne »NS-Verherrlichung stoppen« und örtlicher Bürgerbündnisse stießen. Ab 2005 wurde der Marsch wegen »Volksverhetzung« aufgrund von NS-Verherrlichung verboten und dieses Urteil 2009 vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt.

Die Aufmärsche von Tausenden Nazis zum Volkstrauertag 1990 und 1991 am Waldfriedhof im brandenburgischen Halbe gehörten neben dem Heß-Gedenkmarsch zu den wenigen Ausnahmen, an denen bereits in der ersten Hälfte der 90er Jahre Faschisten massiv auf die Straße gingen. Bewußt wurde mit der Gedenkveranstaltung für gefallene Wehrmachts- und SS-Soldaten an das Heldengedenken militaristischer und faschistischer Verbände in den 1920er und 30er Jahren angeknüpft. Nach Verboten seit 1992 fand erst 2003 aufgrund einer geänderten Rechtsprechung durch das Bundesverwaltungsgericht wieder ein Aufmarsch unter dem Motto »Ruhm und Ehre dem deutschen Frontsoldaten« in Halbe statt. Vermehrter antifaschistischer Widerstand bis hin zu Protesten auch aus den Reihen von SPD und CDU sowie ein geändertes Versammlungsgesetz, das Aufmärsche im Bereich des Friedhofs verbot, führten ab 2006 zu einem Bedeutungsverlust des Halber »Heldengedenkens« für die faschistische Szene.

Der Jahrestag der alliierten Bomberangriffe auf Dresden am 13. Februar 1945 ist nach Halbe und Wunsiedel zum dritten zentralen Ak­tionstag von Tausenden Neofaschisten aus dem In- und Ausland geworden. Zentrales Ziel ist es, durch die Erinnerung an »Deutsche als Opfer« die Verbrechen des Hitlerfaschismus und die Schuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg zu relativieren. Nachdem ein NPD-Abgeordneter im Dresdner Landtag vom »Bombenholocaust« gesprochen hatte, geht es den Faschisten um eine Umdeutung des Holocaust-Begriffs. Die Teilnehmerzahl stieg dabei von 500 im Jahr 2001 mit Schwankungen auf bis zu 6500 im Jahr 2009 an. In den folgenden beiden Jahren gelang es dabei dem von der Antifa bis zu Linkspartei, Grünen und SPD reichenden bundesweiten Bündnis »Dresden nazifrei« mit Massenblockaden von bis zu 20000 Teilnehmern den Marsch der Neonazis zu verhindern. Nachdem ein Gerichtsurteil ein mit polizeilichem Notstand begründetes teilweises Verbot der Nazidemonstration im Jahr 2010 zurückgewiesen hatte, ging die Polizei 2011 mit Wasserwerfern und Pfefferspray gegen Antifaschisten vor und stürmte auch ein Medienzentrum des Bündnisses »Dresden nazifrei« sowie eine Anwaltskanzlei.

Militante Aktionsformen

Stellungnahmen von Naziorganisationen und Beiträge auf Internetseiten zeigen deutlich Resignation und Frust, aber auch Wut nach der Niederlage von Dresden. Die NPD beklagte weinerlich die »Beschneidung des Versammlungsrechts volkstreuer Deutscher« durch einen »vom Establishment herbeigerufenen roten Mob«. Dagegen wird im Naziportal Altermedia die Versammlungsleitung beschuldigt, sie habe sich zuerst in eine Falle locken lassen und dann »nicht den Schneid zum Handeln« besessen. Weiter heißt es dort: »Irgendwelche Grundrechte einzufordern ist lächerlich! Wir müssen unseren Sieg erkämpfen. Dabei ist nicht die Polizei unser Gegner, sondern das Parteienkartell. Selbst die Antifa ist unwichtig. Mit der wird abgerechnet, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Dafür aber umso unerbittlicher.« In der neofaschistischen Szene wird nun über neue Aktionsformen beraten. »Statt mit durchsichtigen und leicht einzuschätzenden Großaufmärschen zu scheitern, sollten wir zu einer Guerilla-ähnlichen Taktik übergehen«, heißt es auf Altermedia. Darauf müssen sich Antifaschisten am 3. September einstellen, wenn Neonazis aus dem ganzen Bundesgebiet in Dortmund den Weltfriedenstag zum mittlerweile siebten Mal als »Nationalen Antikriegstag« mißbrauchen. Es besteht zudem die Gefahr, daß dieser bislang vor allem von den militanten »Autonomen Nationalisten« durchgeführte Aufmarsch nach der Niederlage der Faschisten in Dresden für die ganze Naziszene einschließlich der NPD an Bedeutung gewinnt.

Die Erfahrungen mit Neonaziaufmärschen der letzten zwei Jahrzehnte haben gezeigt, daß auf staatliche Verbote kein Verlaß ist. Oft war für die Verhängung von Verboten erst die antifaschistische Mobilisierung maßgeblich. Gelungen ist dagegen die Blockade des Dresdner Naziaufmarsches zwei Jahre in Folge, weil es eine breite Mobilisierung von der Autonomen Antifa über die Linkspartei bis in Teile des bürgerlichen Lagers hinein gab. Von Anfang an wurde auf das Mittel der friedlichen, aber massenhaften Blockade orientiert. Diese Entschlossenheit, den Neonaziaufmarsch zu be- und verhindern, war ebenfalls entscheidend für unseren Erfolg. An diese Erfahrung gilt es anzuknüpfen.

1 Jürgen Schwab, Deutsche Bausteine. Grundlagen Deutscher Politik, Stuttgart 2000, S. 149

2 Fabian Virchow, »Dimensionen der ›Demonstrationspolitik‹ der extremen Rechten in der Bundesrepublik Deutschland«, in: Andreas Klärner/Michael Kohlstruck (Hg.) Moderner Rechtsextremismus in Deutschland, Hamburg 2006, S. 88

3 F. Virchow, a.a.O., S. 91

4 Joseph Goebbels: Kampf um Berlin, München 1934, S. 127

5 F. Virchow, a. a. O., S. 79

6 Parteivorstand der NPD (1999), »Das strategische Konzept der NPD«, in: Holger Apfel (Hg.), Alles Große steht im Sturm. Tradition und Zukunft einer nationalen Partei, Stuttgart 1999, S. 360

Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin und Gerd Wiegel Antifaschismusreferent der ­Bundestagsfraktion Die Linke

zuerst veröffentlicht in: junge Welt 28.4.2011