Stellungnahme zur Auseinandersetzung über mein Grußwort an die Tagung der ehemaligen Mitarbeiter der DDR-Auslandsaufklärung (HV A)

1.Voller Empörung wird kritisiert, ich habe mich gegen die »Dämonisierung« der DDR und ihres Geheimdienstes ausgesprochen. Möchten sich diese Kritiker etwa für die »Dämonisierung« aussprechen? Muss es nicht vielmehr darum gehen, einen
vorurteilsfreien und wissenschaftlichen Blick auf die Geschichte zu behalten? Deswegen bin ich dafür, daß sich unabhängige Historiker mit diesem Komplex befassen — es darf nicht sein, daß eine von politischen Aufträgen abhängige Behörde wie die BStU das Deutungsmonopol über diesen Abschnitt der deutschen Geschichte hat. Mir geht es nicht darum, tatsächlich von Angehörigen des MfS begangene Verfehlungen oder sogar Verbrechen zu verharmlosen, zu verschweigen oder zu rechtfertigen. Schließlich haben solche Handlungen in erster Linie dem Sozialismus schweren Schaden zugefügt und richteten sich oft genug auch gegen subjektiv überzeugte Sozialisten und linke Oppositionelle. Antikommunistische Medien – von der Jungen Freiheit bis zum Spiegel und der Welt – sind aber der falsche Ort für eine solche kritische Auseinandersetzung mit der Staatssicherheit. Ich möchte zudem daran erinnern, dass der “Runde Tisch” im Jahr 1990 der HV A die Selbstauflösung genehmigt hatte, also im Unterschied zum Großteil der heutigen Presse durchaus zwischen dem Auslandsgeheimdienst und dem Inlandsgeheimdienst unterscheiden konnte.

2.Es wird kritisiert, ich habe den Angehörigen der HV A für ihren »mutigen Einsatz für den Frieden gedankt«. Daß der Auslandsgeheimdienst der DDR zur Erhaltung des Friedens beigetragen hat, wird sogar vom US-Geheimdienst CIA anerkannt. So erklärte Milton Bearden, zuletzt Leiter der Abteilung Sowjetunion/Osteuropa der CIA, zuvor Resident der CIA in Afghanistan, auf der Konferenz »Spionage für den
Frieden?« am 7. Mai 2004 in Berlin: »Ehrlicherweise muß die Rolle der Nachrichtendienste beider Seiten – lassen Sie mich hinzufügen: aller Nachrichtendienste in Ost und West – als Beitrag dazu gesehen werden, dass der 45 Jahre dauernde Kalte Krieg kalt blieb und nicht heiß wurde. In der Tat ist hier die Frage angebracht, wie sehr das allgemeine Niveau des Verständnisses, das den Kalten Krieg kalt hielt, durch die von der HV A unter Leitung von Markus Wolf und später von Werner Großmann gesammelten, nachrichtendienstlichen Erkenntnisse zusätzlich gefördert wurde.«
Ebenso erklärte Benjamin Fischer, seit 1974 Mitarbeiter der CIA, tätig im Directorate of Intelligence and Operations, auf der Konferenz über die HV A am l7./l8. November 2007 an der Süddänischen Universität in Odense: »Die Feststellung von Markus Wolf, dass der Beitrag der HV A für den Frieden zwischen Ost und West darin bestand, die andere Seite transparent zu machen, ist wohl eine betonte Selbstdarstellung, aber sie ist auch wahr. Mit ihren Informationen konnte die HV A Befürchtungen auf der östlichen Seite des Kalten Krieges mindern, die zu Missdeutungen und damit zum Krieg hätten führen können.«
Wäre es zum heißen Krieg in Europa gekommen, wäre das ein atomarer Krieg gewesen und die Menschheit auf beiden Seiten der Grenze zwischen Nato und Warschauer Pakt wäre zu Tode gekommen.
Dass die Kundschafter der HVA an der Verhinderung eines solchen Infernos Anteil haben, hat auch der ehemalige US-Präsident Bill Clinton bestätigt. Er sagte am 11.07.2004 in einem Gespräch mit Sabine Christiansen im Fernsehen : „Wir haben gewußt, was die machen. Die haben gewußt, was wir machen. Die Spione haben dafür gesorgt, dass zwischen uns kein Atomkrieg stattfand. Die Vorstellung ist schrecklich, aber so war es doch. Alle wußten, was die andere Seite tut. Damit war die Wahrscheinlichkeit, dass es zum Atomkrieg kam, gering“.
3.Es wird kritisch angemerkt, dass ich den BND als einen von »Altnazis aufgebauten aggressiven imperialistischen Dienst« bezeichnet habe. Der BND entstand aus der Organisation Gehlen, die nach ihrem Leiter dem ehemalige Generalmajor der Wehrmacht, Reinhard Gehlen, benannt war. Die Organisation Gehlen wurde von den US-Besatzungsbehörden aus ehemaligen Mitarbeitern der Abteilung Fremde Heere Ost des einstigen Generalstabes der Nazi-Wehrmacht gebildet, die auch den Überfall auf die Sowjetunion durch Spionageaktivität vorbereiten half. Eingestellt wurden auch ehemalige SS, SD-und Gestapo-Offiziere. Der ehemalige Nazi-Spionagechef Gehlen wurde der erste Präsident des BND von 1956 bis 1968. Der Journalist Peter Carstens, der erstmals Einblick in geheime Akten des BND zu dessen Naziverstrickungen bekam, schrieb in der FAZ vom 17.März 2010: „Im Jahr 1960 hatte der Bundesnachrichtendienst 2450 Mitarbeiter, davon waren wenigstens 200 Personen zuvor im Befehlsbereich Heinrich Himmlers tätig. Die späteren BND-Mitarbeiter hatten zwischen 1933 und 1945 unterschiedlichste Funktionen vom einfachen Polizeiobersekretär bei der Gestapo bis zum Range eines SS-Oberführers an der Ermordung von Millionen europäischen Juden, an Massenerschießungen sowie an der Verfolgung von Hitler-Gegnern mitgewirkt. Nach oberflächlicher „Entnazifizierung“ und „Beschönigung ihrer Lebensläufe fanden sie im Spionagekrieg gegen die Sowjetunion neue Verwendung.“
4. Meine Kritik daran, dass nach der angeblich gleichberechtigten Vereinigung beider deutscher Staaten die Ost-Spione bestraft wurden, die West-Spione hingegen nicht, schließt sich der Einschätzung des damaligen Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble (CDU) an. Dieser erklärte 1990 vor dem Innerdeutschen Ausschuss: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir im vereinten Deutschland die jeweiligen Agenten gegenseitig ins Gefängnis stecken.“ Es handle sich um „`teilungsbedingte Straftaten‘, die außer Verfolgung gestellt werden müssen“, so Schäuble. (siehe: Wolfgang Schäuble: Der Vertrag, Stuttgart 1991, 269f.) Dass es nicht so kam, ist dem damaligen SPD-Oppositionsführer Hans-Jochen Vogel geschuldet, der die Debatte mit dem missverständlichen Kampfbegriff „Stasi-Amnestie“ vergiftete und sich vehement gegen eine von Schäuble geforderte Aufnahme eines Straffreiheitsgesetzes für Agenten in den Einigungsvertrag wehrte. (vgl. Ebda. 271f.)

Eine kritische Auseinandersetzung mit dem MfS ist notwendig. Doch diese sollte auf Fakten beruhen und nicht auf Propagandamythen von Bild und Co.