Artikel: Vorwand für Internetzensur

Die Europäische Union (EU) will ihre Mitgliedsstaaten zwingen, für bestimmte Internetseiten Zugangssperren einzuführen. Die neue EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström legte am Montag einen entsprechenden Richtlinienentwurf vor. Er sei im Kampf gegen Kinderpornographie nötig, begründete sie ihren Plan. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und die Oppositionsfraktionen im Bundestag reagierten ablehnend, nur aus der CDU/CSU kam Zustimmung.

Vor der Bundestagswahl hatte sich die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) als Kämpferin gegen Kinderpornographie zu profilieren versucht, indem sie dem Bundeskriminalamt (BKA) die Befugnis zur Sperrung entsprechender Seiten übertragen ließ. In der Internet-Community löste dieses »Zensursula-Gesetz« heftigen Protest aus, weil zum einen die sogenannten Sperren leicht umgehbar und damit wirkungslos sind, zum anderen aber die beim BKA vorgesehene technische Infrastruktur künftig auch für die Zensierung anderer Inhalte eingesetzt werden könnte. Nach der Bundestagswahl setzte die FDP im Koalitionsvertrag den Grundsatz »Löschen statt sperren« durch, das Sperrgesetz wird derzeit nicht angewendet.

Doch dieser Kompromiß gerät durch den EU-Richtlinienentwurf ins Wanken. Wie schon bei der Vorratsdatenspeicherung und anderen Regelungen sollen den Mitgliedsstaaten von der Kommission bürgerrechtsfeindliche Gesetze aufgenötigt werden. Prompt nutzen Politiker der Unionsparteien die Schützenhilfe aus Brüssel und fordern die Reaktivierung des deutschen Zugangssperrengesetzes. Fraktionsvize Günter Krings (CDU) erklärte, man müsse nun alles daransetzen, »eine wirksame Technik für Internetsperren zu entwickeln«. Auch der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), unterstützte Kommissarin Malmström: Durch ihren Vorschlag werde ein einheitlicher Standard geschaffen, um gegen das grenzüberschreitende Problem vorzugehen, meinte Bosbach. Die Sperren könnten Nutzer warnen, daß sie sich beim nächsten Klick strafbar machen.

Die neue Richtlinie muß noch EU-Parlament und -Rat passieren. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger will bis dahin die anderen Mitgliedsstaaten davon überzeugen, daß es besser wäre, auf das Löschen krimineller Angebote zu setzen. Sie machte am Dienstag klar: »Die Bundesregierung lehnt Internetsperren ab. Sie stellen kein wirksames Mittel im Kampf gegen Kinderpornographie dar, führen aber gleichzeitig zu einem großen Vertrauensschaden bei den Internetnutzern.«

Unterstützung hierfür kommt von der Opposition. Die Linkspartei war immer schon gegen das Sperrgesetz. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte: »Wir brauchen überhaupt kein neues Gesetz, denn das Löschen von strafrechtlich relevanten Seiten ist rechtlich längst möglich.« SPD-Vizefraktionsvorsitzender Olaf Scholz wies darauf hin, daß Internetsperren nicht funktionieren. Sie sind allerdings seinerzeit von der SPD mit beschlossen worden.