Rede im Bundestag: Für das ganze Bleiberecht

Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute wieder einmal über Menschen, die aus ihren Herkunftsländern geflohen sind und hier in Deutschland nur geduldet sind. Geduldet zu sein, bedeutet ständige Angst vor Abschiebung, bedeutet, den Wohnort nicht verlassen zu dürfen, keine Bewegungsfreiheit zu haben, also Residenzpflicht, bedeutet Arbeitsverbot und vor allen Dingen, von reduzierten Sozialleistungen leben zu müssen. Die Gesundheitsversorgung ist nur auf Notfälle reduziert.
Weil die Duldung immer wieder neu verlängert werden musste, hat es seit Jahren in diesem Hause eine Debatte darüber gegeben genauer gesagt mit dem Zuwanderungsgesetz von 2001, das von Grünen und SPD eingebracht wurde , dass diese Kettenduldung endlich abgestellt werden muss.
Was ist bis dahin passiert? Rein gar nichts. Stattdessen hat die Koalition eine Altfallregelung eingebracht. Diese wird von Pro Asyl, einer Flüchtlingsorganisation, als kleinmütige Teillösung bezeichnet. Wir können uns dieser Aussage nur anschließen; denn das ist für die Betroffenen wirklich nicht mehr zu ertragen.
(Beifall bei der LINKEN)
60 000 Menschen sollen ein Bleiberecht erhalten, versprach damals die SPD. Nur 8 000 Menschen haben ein Bleiberecht bekommen. 30 000 Menschen haben ein Aufenthaltsrecht auf Probe bekommen. Das muss man sich einmal vorstellen. Sie müssen bis zum Ende dieses Jahres ein Einkommen aufbringen, das über Hartz-IV-Niveau liegt, sonst heißt es: Abschiebung. Es ist unseres Erachtens ein Skandal, dass die Regierung bis heute keinerlei Vorschläge vorgelegt hat, um bis Jahresende diese Abschiebungen zu verhindern.
(Beifall bei der LINKEN)
Im Koalitionsvertrag steht ich zitiere :
… sind wir uns einig, dass vor dem Hintergrund der momentanen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Handlungsbedarf … besteht. … Zeitgerecht wird eine angemessene Regelung gefunden werden.
Herr Kollege Wolff von der FDP, Sie haben in den vergangenen Tagen immer wieder in den Medien verlauten lassen: Wir brauchen noch ein Jahr Zeit, um in Ruhe über eine vernünftige und tragfähige Lösung zu reden. Ich frage Sie: Warum schiebt es diese Regierung erneut der Innenministerkonferenz zu, eine Lösung zu finden? Auf der Innenministerkonferenz hat Innenminister Hermann zum Beispiel gesagt: erst Arbeit, dann Daueraufenthalt; das muss das Prinzip sein.
(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Was spricht denn dagegen?)
Das ist fast so, als wenn man sagt: Wer keine Arbeit hat, soll auch nicht essen, Herr Grindel. Das ist die Mentalität, die aus diesen Positionen spricht.
(Beifall bei der LINKEN – Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Ach je!)
Ich will hier noch einmal ganz deutlich sagen: Sie sind diejenigen, die diesen Menschen lange Zeit ein Arbeitsverbot auferlegt und ihnen durch die Residenzpflicht die Möglichkeit genommen haben, sich um Arbeit zu bemühen. Auch die Fachleute sagen: Aufgrund der Wirtschaftskrise haben diese Menschen die geringsten Chancen, einen Job zu finden. Und nun soll ausgerechnet die Innenministerkonferenz im Konsens eine Lösung finden. Ich sage hierzu nur: Dieses Spiel kennen wir seit langem und zur Genüge. Die Bundesregierung und die Innenminister schieben sich die Verantwortung gegenseitig zu. Wer genau hinschaut, sieht: Auch die Innenministerkonferenz hat bis heute überhaupt keine Lösung. Deswegen fordern wir die Koalition auf, sofort eine Lösung zu finden. Wir fordern das Bleiberecht für alle, die diesen seltsamen Status „Aufenthalt auf Probe“ haben.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Linksfraktion stellt in ihrem Antrag zunächst einmal fest ich kann leider nur zwei Punkte nennen , dass wir dieses Bleiberecht ganz dringend brauchen, und wir fordern die Bundesregierung in unserem Antrag auf, die Kettenduldung endlich zu beenden. Ich möchte hier noch einmal daran erinnern, dass Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Gewerkschaften vor der Sommerpause an die Politik appelliert haben, die Altfallregelung wenigstens zu verlängern. Die Regierung hat damals abgestritten, dass es einen Handlungsbedarf gibt. Ich lese besonders gerne aus der Stellungnahme des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes vom heutigen Tag vor, in der steht:
Die Aufenthaltserlaubnis muss erteilt werden können, sobald die Ausreise unzumutbar ist. Es wäre einfach kaltherzig und inhuman, wenn Kinder, die hier aufgewachsen sind, ständig Angst vor Abschiebung haben müssen, nur weil ihre Eltern keine Arbeit finden.
Dort steht weiter, die Menschen brauchten keine Duldung, sondern Rechtssicherheit.
(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie des Abg. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Das sehen wir ganz genauso.
Es ist nicht akzeptabel,
– sagt der Paritätische Wohlfahrtsverband weiter –
wenn hunderttausend Menschen über Jahre hinweg als Mitmenschen „auf Abruf“ behandelt werden.
Wir können uns dem nur anschließen und hoffen, dass die Bundesregierung endlich zu einer Lösung kommt.
Ich danke.
(Beifall bei der LINKEN)

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