Artikel: Union will mehr Kameras

Nach dem tödlichen Angriff zweier junger Männer auf einen Fünfzigjährigen in einem Münchner S-Bahnhof setzte am Montag reflexartig eine Debatte über Gesetzesverschärfungen und mehr Überwachung ein. Ein 18jähriger Münchner und sein 17jähriger Freund hatten in der S-Bahn Jüngere bedrängt und von ihnen unter Gewaltandrohung Geld gefordert. Ein Fahrgast wollte den Angegriffenen helfen und stellte sich dazwischen. Anschließend wurde er – wie die Staatsanwaltschaft vermutet: aus Rache – von den beiden jungen Männern auf dem Bahnsteig dermaßen zusammengeschlagen, daß er seinen Verletzungen erlag. Gegen die Täter wurde Haftbefehl wegen Mordverdachts erlassen.

Ähnlich wie bei einem U-Bahn-Überfall in der bayerischen Landeshauptstadt vor zwei Jahren nutzten vor allem Politiker aus der CDU/CSU den tragischen Vorfall dazu, um ihre Law-and-order-Forderungen zu wiederholen. Damals hatten ein türkischer und ein griechischer Jugendlicher zugeschlagen. Prompt wurde beider Ausweisung gefordert und die Verschärfung des Asylrechts. Nun geht es vor allem um weitere Maßnahmen der Videoüberwachung und die Ausweitung des Jugendstrafrechts.

Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) verlangt Überwachungskameras an allen S-Bahnhöfen. Sie bekräftigte zudem die alte, in Bundestag und Bundesrat bisher stets gescheiterte CSU-Forderung, daß 18jährige Straftäter in Zukunft immer nach dem Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden sollen und nicht mehr – je nach dem Entwicklungsstand im Einzelfall – nach Jugendstrafrecht. Der SPD-Politiker Hans-Ulrich Pfaffmann, Stadtvorsitzender der Münchner Sozialdemokraten, wollte die Konservativen noch übertrumpfen und forderte, mit »null Toleranz« und »aller Härte der gesetzlichen Möglichkeiten« gegen solche Gewalttaten vorzugehen. Seine Partei trete dafür ein, mehr Polizisten in die Bahnen zu schicken und die Polizeikontrollen zu verstärken.

Dieselbe Forderung richtete Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) an die für S-Bahnen zuständige Bundespolizei. Der Politiker plädierte außerdem dafür, die Höchststrafe für Jugendliche auf 15 Jahre anzuheben. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag, Wolfgang Bosbach, sprach sich ebenfalls für Änderungen im Jugendstrafrecht aus. CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer warf der SPD vor, eine Verschärfung bisher blockiert zu haben. In Sachen Jugendkriminalität habe die Partei sich geweigert, »auch nur das Geringste zu tun«.

Die starken Worte sollen darüber hinwegtäuschen, daß weder Gesetzesverschärfungen noch ein lückenloses Netz von Videokameras geeignet sind, hundertprozentigen Schutz vor Gewalttaten zu bieten. Heribert Prantl kommentierte in der gestrigen Süddeutschen Zeitung zutreffend: »Das Strafrecht verfügt über alle notwendigen Sanktionen. Wenn also nach einer Tat wie der in München-Solln Politiker nichts anderes zu sagen hätten als ›mehr Strafe‹, dann wäre das recht armselig. Es muß darum gehen, Zivilcourage zu schützen und zu stärken.« Ein starker Staat ist derjenige, der seine Bürger stark mache. Diese würden sich nicht sicher fühlen, wenn der Staat Wanzen verschicke.

Auch Professor Christian Pfeiffer, ein führender Kriminologe aus Hannover, warnte im ARD-Morgenmagazin vor der Vorstellung, härtere Strafen seien geeignet, solche Taten zu verhindern. Pfeiffer wies darauf hin, daß die beiden Angreifer bei ihrem Tun sicherlich nicht die Strafen im Blick gehabt hätten. Er forderte verstärkte Anstrengungen im Bildungs- und Sozialwesen. Der Staat müsse sich um junge Menschen kümmern. Die Linksfraktion im Bundestag wies darauf hin, daß auch eine lückenlose Videoüberwachung diesen Mord nur hätte dokumentieren, aber nicht verhindern können. »Um die Sicherheit der Fahrgäste in S- und U-Bahnen wiederherzustellen, ist eine wesentlich stärkere Personalpräsenz in den Zügen und Bahnstationen notwendig«, so die Linkspartei. »Dagegen gefährden Personalkürzungen als Folge von Privatisierung, Profitorientierung und Bahn-Börsengang Gesundheit und Leben der Fahrgäste – durch technische Mängel wie bei der S-Bahn in Berlin, aber eben auch durch häufig menschenleere Bahnsteige wie in München-Solln.«