Gutes Argument: Abschiebehaft abschaffen!

In
Deutschland werden Erwachsene, aber auch Kinder und Jugendliche ohne Eltern
inhaftiert, obwohl sie keine Straftat begangen haben. Sie sind lediglich
ausreisepflichtig. Gerichte verhängen Abschiebehaft, weil sie den Betroffenen
unterstellen, sie könnten sonst untertauchen, um ihrer Abschiebung zu entgehen.
Das Anti-Folter-Komitee des Europarates hat 2006 scharfe Kritik am Vollzug der
Abschiebehaft in Deutschland geübt. Verbessert hat sich seitdem nichts.
Einige Fakten zur Abschiebehaft
In NRW wurden in den Jahren 2005-2007 über 6.600 Menschen in Abschiebehaft
genommen. In über 1.000 Fällen dauerte die Abschiebehaft 3 bis 6 Monate. 150
Menschen wurden sogar noch länger eingesperrt. In Einzelfällen wird die gesetzliche
Höchstgrenze von 18 Monaten erreicht. Ebenfalls über tausend Inhaftierte wurden
aus der Abschiebehaft entlassen, ohne dass die Abschiebung tatsächlich vollzogen
werden konnte. Das heißt: Der eigentliche Zweck der Abschiebehaft, die
Abschiebung durchzusetzen, wird in einer großen Zahl der Fälle gar nicht erreicht.
86 unbegleitete Minderjährige wurden 2005-2007 in Abschiebehaft genommen, mit
sinkender Tendenz. Im gleichen Zeitraum wurden 19 Schwangere ebenfalls ins
Abschiebegefängnis gesteckt, eine davon 172 Tage lang, also mehr als die Hälfte
der Schwangerschaft!

Ausdehnung der Abschiebehaft – Freiheitsentzug ohne Richter

Im Sommer 2007 hat der Bundestag die Vorschriften zur Abschiebehaft neu gefasst.
Seitdem dürfen die Mitarbeiter der Ausländerbehörden verfügen, wenn die Polizei
einen Ausländer in Abschiebehaft nehmen soll – erst danach muss ein Richter über
diese Anordnung entscheiden. Dies ist im deutschen Recht einmalig. Denn
Freiheitsentzug ist die weitestgehende Grundrechtsbeschneidung, die das deutsche
Recht vorsieht. Deshalb sieht das Grundgesetz vor, dass niemand ohne richterliche
Anordnung in Haft genommen werden darf. Ausnahmen gelten lediglich bei Gefahr in
Verzug – wenn zum Beispiel befürchtet wird, dass ein mutmaßlicher Mörder seine
Spuren verwischen will. Aber das ist ja wohl kaum mit ausländerrechtlichen
Verstößen zu vergleichen!
Die Verhältnismäßigkeit der Mittel wird nicht gewahrt. Der Verstoß gegen die
Ausreisepflicht ist eine Ordnungswidrigkeit – vom deutschen Gesetzgeber werden
die „Täter“ aber behandelt wie Mörder, Totschläger und Räuber. Viele Menschen in
Abschiebehaft fragen sich deshalb auch zu Recht: „Warum bin ich im Gefängnis?
Warum habe ich hier keine Rechte, warum werde ich wie ein Straftäter behandelt?
Ich habe doch nichts getan!“
In vielen Fällen gibt es zum Zeitpunkt der Inhaftierung noch gar keinen konkreten
Abschiebetermin, die Betroffenen werden „auf Vorrat“ in Abschiebehaft genommen.
Nach den geltenden verfassungsrechtlichen Maßstäben ist sie schon allein deshalb
verfassungswidrig: Maßnahmen des Staates müssen immer zweckmäßig sein, wenn
dabei in die Grundrechte eingegriffen wird. Bei der Abschiebehaft trifft das
offensichtlich nicht zu. Sollte wirklich nur die Abschiebung gesichert werden, würden
viel kürzere Haftzeiten reichen. Offensichtlich soll die Abschiebehaft auch als
Druckmittel gegen renitente Flüchtlinge und Migranten eingesetzt werden können,
die sich nicht alles von der Ausländerbehörde gefallen lassen.

Frauen in Abschiebehaft: ein zweites Mal Opfer

Besonders hart sind vor allem Frauen von der Abschiebehaft betroffen. In Neuss gibt
es einen eigenen Abschiebeknast nur für Frauen, der einzige in Deutschland. Hier
sind Frauen, die Opfer von Zwangsprostitution wurden und aus Angst nicht gegen
ihre Peiniger aussagen wollen. Weil sie sich als illegale Prostituierte strafbar
gemacht haben und meistens auch nicht über die nötigen Aufenthaltspapiere
verfügen, werden sie in Abschiebehaft genommen. Darunter sind auch solche
Frauen, die schwanger wurden – und deshalb von ihren Zuhältern der Polizei
übergeben wurden. Die Betreuung dieser Frauen ist in jeder Hinsicht mangelhaft.
Sowohl für die notwendige psychologische als auch medizinische Betreuung steht
kaum Geld und Personal zur Verfügung, es wird lediglich das Nötigste unternommen.

Abschiebehaft macht krank

Opfern von Folter, deren Asylgesuch in Deutschland abgelehnt wurde, droht in
Abschiebehaft eine Retraumatisierung. Folter ist immer mit Haft unter schlechten
Bedingungen verbunden, mit einem Gefühl des Ausgeliefertseins an das staatliche
Personal. Daher brechen häufig Erinnerungen daran hervor und führen zu
gravierenden psychologischen Störungen. Suizidversuche kommen in Abschiebehaft
regelmäßig vor. Gerade für Frauen hat sich die Situation in den letzten Jahren
offenbar verschlechtert, immer mehr brauchen ambulante psychiatrische
Behandlung, einige wurden auch stationär behandelt. Bei Männern, die in Kliniken
eingewiesen werden, ist oftmals eine lange Haftzeit – einige waren mehr als 200
Tage im Gefängnis! – ausschlaggebend für ihre psychische Erkrankung.

Abschiebehaft – rechtsfreier Raum

Abschiebehäftlinge haben im Gegensatz zu normalen Gefangenen keinen Anspruch
auf einen Anwalt, der sie in Rechtsfragen berät und vertritt. Rechtsberatung wird
ehrenamtlich von engagierten Einzelpersonen angeboten oder über Spenden
finanziert. Erschwerend kommt hinzu, dass der Vollzug der Abschiebehaft zum Teil
privatisiert ist. Das Personal besteht also nicht aus jahrelang ausgebildeten
Vollzugsbeamten mit entsprechenden rechtlichen Kenntnissen. Oft fühlen sie sich
einfach auch nicht so an die Rechtsordnung gebunden wie die Kollegen im
Öffentlichen Dienst. Wehren können sich die Gefangenen kaum – wer glaubt schon
einem Gefängnisinsassen?
Abschiebehaft ist nicht nur überflüssig. Sie ist ein eklatanter Verstoß gegen
wesentliche Normen des Rechtsstaats. Abschiebehaft macht krank und wirkt
ausgrenzend. Freiheitsentzug allein zur Erleichterung einer Verwaltungsmaßnahme,
der Abschiebung, ist unverhältnismäßig. Mit der Abschiebehaft sollen jene gefügig
gemacht werden, die durch die Maschen des Aufenthaltsrechts gefallen sind und
ausgewiesen wurden. Deswegen: Abschiebehaft abschaffen!
Aktionswoche gegen Abschiebehaft:
Informationen unter http://abschiebefrei.blogsport.de

2009_08_21_GuteArgumenteGegenAbschiebehaft.pdf