Artikel: Verfassungsbruch

Seit einigen Tagen bündelt sich beim BVA die Abhörtechnik von Bundeskriminalamt und Bundespolizei, in absehbarer Zeit sollen Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst, Bundesnachrichtendienst sowie die Länderpolizeien hinzukommen. Wann immer sie Telefongespräche mithören, Faxe und E-Mails mitlesen wollen, beauftragen sie die Techniker des Kölner BVA. Schnüffeln als Dienstleistung.

Es gehe, behauptet Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU), nur darum, die technische Durchführung von Überwachungsmaßnahmen zu bündeln. Mit den Inhalten der abgehörten Gespräche hätten die Techniker nichts zu tun. Was für eine fadenscheinige Lüge! Um das mal zu vergleichen: Würden Sie Liebesbriefe oder Ihre Steuererklärung auf dem Fahrersitz liegen lassen, wenn Sie das Auto in die Werkstatt bringen, im Vertrauen darauf, der Mechaniker werde sich strikt nur um den Motor kümmern und nicht nach links und rechts sehen? Wem der Vergleich zu holprig ist: Jeder, der schon mal einen Computerexperten an seinen Rechner gelassen hat, weiß, daß der bei der Fehlersuche nahezu zwangsläufig auch mit dem Inhalt gespeicherter Dateien in Berührung kommt. Der Bundesrechnungshof hat denn auch bestätigt, daß es, sobald die Abhörtechnik eine Reparatur braucht, für die Techniker notwendig ist, sich »in laufende TKÜ-Maßnahmen einzuschalten, sprich mitzuhören«. Der Rechnungshof hat auch herausgefunden, daß die Zentralisierung keineswegs Kosten spart. Das macht einen zu Recht mißtrauisch.

Muß man wirklich betonen, daß Abhören keine »Dienstleistung« ist, sondern ein Grundrechtseingriff? Und daß sich die Problematik potenziert, wenn sämtliche Grundrechtseingriffe von Polizeien und Geheimdiensten von einer einzigen Behörde durchgeführt werden? Das ist, rein technisch, der Totenschein für das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten. Alle Abhörmaßnahmen unter einem Dach – d. h. fast zwangsläufig, daß auch die Ergebnisse des Abhörens geteilt werden. Soll es Zufall sein, daß der im März dieses Jahres eingesetzte neue Vizechef des BVA direkt aus der Zentralabteilung des Verfassungsschutzes kommt? Also ein Fachmann, wenn es ums Abhören und Schnüffeln geht. Die nächsten Geheimdienstskandale sind vorprogrammiert.

Der Bundesdatenschutzbeauftrage Peter Schaar hat gestern erklärt, daß es für die Abhörzentrale keine rechtliche Grundlage gebe – Folgen hat seine Feststellung nicht. Was technisch geht, wird auch gemacht. Das ist ohnehin das Credo der Überwachungsfanatiker um Schäuble. Sie setzen auf den zentralisierten Kontrollstaat, dem weder verfassungsrechtliche noch technische noch operative Grenzen gesetzt sind.