Artikel: Retter vor Gericht

Am Montag solidarisierten sich Hilfsorganisationen und Flüchtlingsgruppen vor der italienischen Botschaft in Berlin mit den Angeklagten des »Cap-Anamur-Prozesses«. In dem Strafverfahren gegen Stefan Schmidt und Elias Bierdel im sizilianischen Agrigento soll Hilfe für Flüchtlinge, die in Seenot geraten sind, kriminalisiert werden. Die Antirassistische Initiative Berlin (ARI), das Komitee für Grundrechte (Köln) und »Kein Mensch ist illegal« (Hamburg) protestierten dagegen, »Selbstverständliches« unter Strafe zu stellen.

Die »Cap Anamur« hatte am 20. Juni 2004 37 Menschen im Mittelmeer aus Seenot gerettet. In den folgenden zehn Tage konnte das Rettungsschiff in keinen Hafen einlaufen, da sich die italienischen Behörden weigerten, eine Einfahrtsgenehmigung zu erteilen. Schließlich gelangte die »Cap Anamur« in den sizilianischen Hafen Porto Empedocle. Dort wurden Stefan Schmidt, der Kapitän des Schiffes, und Elias Bierdel, der damalige Geschäftsführer der Hilfsorganisa­tion Cap Anamur, festgenommen. Die Flüchtlinge wurden binnen kürzester Zeit abgeschoben, das Rettungsschiff beschlagnahmt.

Der Strafprozeß läuft mittlerweile seit dem 27. November 2006. Die Anklage lautete zunächst auf bandenmäßig betriebene Beihilfe zur illegalen Einreise in einem besonders schweren Fall. Diesen Vorwurf mußte die Staatsanwaltschaft zwar fallenlassen. Dennoch stellte sie am 22. April 2009 einen skandalösen Strafantrag und forderte für die Angeklagten jeweils vier Jahre Haft und zusätzlich jeweils 400000 Euro Geldstrafe. Zudem soll die »Cap Anamur«, die mit einem Betrag von zwei Millionen Dollar ausgelöst worden war, erneut konfisziert werden. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet nun, Bierdel und Schmidt hätten die Flüchtlinge nur an Bord genommen, um aus der Aktion »mediale Aufmerksamkeit und Profit« zu schlagen. Am 20. Mai wird die Verteidigung in Agrigento ihre Plädoyers halten. Diesem Prozeß kommt eine grundsätzliche Bedeutung zu, denn eine Verurteilung wäre ein Präzedenzfall, der das Leben zahlloser Schiffbrüchiger gefährden würde.

Die Berliner Kundgebungsteilnehmer forderten deshalb am Montag Freisprüche für die Angeklagten und übergaben dem Botschaftsrat einen offenen Brief an den Justiz- und den Innenminister Italiens. In dem von zahlreichen Persönlichkeiten unterzeichnetem Schreiben heißt es: »Angeklagt gehört die Abschottunsgpolitik der europäischen Regierungen.« Die Unterzeichner werfen den EU-Regierungen vor, sie seien »durch ihre mörderischen Abschottungsmaßnahmen« für das Massensterben an den europäischen Außengrenzen verantwortlich. Die Kriminalisierung von Menschen, die in Seenot geratenen Flüchtlingen helfen, stelle einen durchsichtigen Versuch der italienischen Justiz dar, sie von dieser humanitären Selbstverständlichkeit abzuschrecken. »Wir protestieren gegen eine politische Justiz, die sich zum Handlanger einer inhumanen europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik macht«, so die Demonstranten. Der Prozeß wird auch vom Flüchtlingsrat Brandenburg und von Pro Asyl beobachtet.