Artikel: Rechter Terror nimmt zu

Von einer »«neuen Dimension« rechter Gewalt sprach Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nach dem Mordanschlag eines Neonazis auf den Passauer Polizeichef Alois Mannichl am vergangenen Sonntag. Diese Einschätzung offenbart die Ignoranz des konservativen Politikers gegenüber nahezu täglichen Gewalttaten von Neonazis, die sich allerdings meist nicht gegen Bürger aus der »Mitte der Gesellschaft« wie den Passauer Polizeichef richten, sondern gegen sogenannte Randgruppen wie Migranten, Obdachlose oder linke Punks. Doch der Angriff auf den Passauer Polizeichef war keineswegs die erste Attacke von Neonazis in diesem Jahr; und sie war auch nicht die erste gegen Polizisten gerichtete. So hatte der Dortmunder Neonazi Michael Berger im Sommer 2000 drei Polizisten erschossen.

Am 20. Juli überfielen Neonazis aus dem Umfeld der Kameradschaft »Freie Kräfte Schwalm-Eder« ein Sommercamp der Linksjugend-Solid am Neuenhainer See. Einer der Angreifer schlug auf eine 13jährige Schülerin mit einer Glasflasche ein und verletzte das Mädchen lebensgefährlich. Der Prozeß gegen den 19jährigen bekennenden Neonazi Kevin S. begann diese Woche vor dem Kasseler Landsgericht. Ihm droht eine Verurteilung wegen versuchten Mordes.

Nur zwei Tage nach dem Überfall auf das Jugendcamp wurde der 55jährige Tischler Bernd T. in Templin durch massive Tritte an den Kopf getötet. Gegen die zwei einschlägig vorbestraften Neonazis Christian W.(21) und Sven P. (18) wurde im November Anklage wegen Mordes erhoben. Die Staatsanwaltschaft geht dabei von einem rechtsextremistischen Motiv aus – die Beschuldigten sollen ihr arbeitsloses und alkoholkrankes Opfer als minderwertig verachtet haben.

Am 6. August wurde der vietnamesische Zigarettenhändler Cha Dong N. in Berlin-Marzahn auf offener Straße erstochen. Der Täter Timo W. hatte nach Aussagen seiner Nachbarschaft mehrfach rassistisch gegen »diese Fidschis« gehetzt, die endlich verschwinden sollen.

Wenige Tages später, am 17. August, wurde in Magdeburg der Kunststudent Rick L. von einem Neonazi totgetreten. Der Student soll den mutmaßlichen Täter Bastian O. zuvor bei einem Streit in einer Diskothek als Nazi beschimpft haben. Bastian O. gilt laut Spiegel als »Größe in der Neonaziszene«.

Am 24. August wurde der 18jährige Marcel W. im sachsen-anhaltinischen Bernburg mit zahlreichen Messerstichen getötet. Unter erheblichem Tatverdacht steht der 19jährige Neonazi David B., in dessen Wohnung die Bluttat geschah. Das Opfer sollte gegen B. vor Gericht im Falle einer Anklage wegen Körperverletzung aussagen. B. soll laut Spiegel als Mitdemonstrant des »Nationalen Widerstands« aufgefallen und mehrfach wegen Körperverletzung und dem »Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen« verurteilt worden sein.

Die Bundesregierung zählte auf Nachfrage der Linksfraktion im Bundestag seit dem Anschluß der DDR bis Ende 2007 »insgesamt 40 Todesopfer politisch rechts motivierter Gewalt«. Diese Statistik ist massiv schöngerechnet. So nannte selbst das Bundeskriminalamt drei Jahre zuvor bereits 41 Todesopfer. Dominique John vom Potsdamer Verein Opferperspektive geht von »deutlich mehr als 120 Menschen« aus, die aufgrund rechtsextremer Gewalttaten ums Leben kamen. Das Webportal »Mut gegen rechte Gewalt« zählte seit 1990 bis einschließlich 2008 bereits über 140.

Die Bewertungshoheit für die der Bundesregierung gemeldeten Zahlen von Todesopfern rechtsextremer Gewalt liege bei den Ländern, so Innenstaatssekretär Peter Altmeier. Da kein Bundesland gerne als Nazihochburg gelten will, werden rechtsextrem oder rassistisch motivierte Gewalttaten immer wieder als unpolitische Auseinandersetzungen unter Jugendlichen oder unter Alkoholeinfluß verharmlost – selbst dann, wenn die Täter bekannte Neonazis sind und die Opfer sich links engagieren. So wurde 2005 der 31jährige anarchistische Punk Thomas S. »Schmuddel« in einer Dortmunder Bahnunterführung von einem 17jährigen Naziskinhead erstochen. Die Dortmunder Neonaziszene nannte den Täter Sven Kahlin einen »Kameraden« und erklärte im Internet: »Die Machtfrage wurde gestellt und wurde für uns befriedigend beantwortet: Dortmund ist unsere Stadt!«. Dagegen sah das Dortmunder Landgericht im November 2005 bei der Verurteilung Kahlins zu sieben Jahren Haft wegen Totschlags keinen politischen Hintergrund der Tat. »Schmuddel« fiel damit wieder aus der Regierungstatistik rechtsextremer Gewalttaten heraus. Angesichts solcher Verharmlosung von Neonazigewalt durch Bund und Länder fordert die Linksfraktion die Einrichtung einer aus öffentlichen Mitteln finanzierten unabhängigen Beobachtungstelle für Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit.