Artikel: Koordinierte Flüchtlingsabwehr

Mit verschwindend niedrigen Anerkennungszahlen im Asylverfahren hält Deutschland EU-weit einen traurigen Rekord in der Flüchtlingspolitik. Positive Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF, früher BAFl) für die Zuerkennung von Asyl nach Artikel 16/16a des Grundgesetzes gab es im Jahre 2005 nur in 411 Fällen. Das ist eine groteske Quote von 0,9 Prozent gegenüber wenigstens neun Prozent im Jahre 1995.

Umgekehrt läuft die Abschiebungsmaschinerie auf Hochtouren. 17773 Menschen sind im Jahre 2005 aus der BRD deportiert worden (im Jahr zuvor waren es 23334). Zwar ging damit die Zahl der Abschiebungen zurück, denn sie lag 1997 noch bei 38205 und 2002 noch bei 29 036. Aber selbst das Bundesinnenministerium (BMI) schreibt in dem am 24. Juli 2006 veröffentlichten »Evaluierungsbericht« zum Zuwanderungsgesetz: »Dabei ist allerdings zu bedenken, daß auch die Zahl der Asylbewerber stark rückläufig ist.« (S. 142) Es handelt sich also nur um einen relativen Rückgang der Deportationen.

Zu Recht hat daher die Flüchtlingsorganisa­tion Pro Asyl in ihrer Aktion anläßlich der Fußballweltmeisterschaft »Rote Karte für Deutschlands Abschiebetaktik« die BRD als »Abschiebeweltmeister« bezeichnet. Deutschland leiste sich, so Pro Asyl, den zweifelhaften Luxus, »200000 Menschen – von ihnen mehr als 120000 länger als fünf Jahre im Lande lebend – auf Abruf hier leben zu lassen: mit einer Duldung, die die faktische Integration nicht anerkennt«. Pro Asyl konstatiert eine »im europäischen Vergleich einzigartige Strategie«. Einmal gewährtes Asyl werde massenhaft widerrufen. »Über 40 000 Flüchtlinge waren hiervon in den letzten Jahren betroffen. Völlig unnötig wird Flüchtlingen aus dem Irak, Kosovo, Afghanistan usw. der zum Teil vor Jahren gewährte Schutz und damit häufig das Recht auf Aufenthalt entzogen.«

Schäubles leeres Versprechen
Die logische Folgerung aus diesem deprimierenden Befund kann nur eine großzügige Bleiberechtsregelung sein. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) überraschte am vergangenen Samstag in einem Interview der Süddeutschen Zeitung mit der Einsicht, daß eine Bleiberechtsregelung für Flüchtlinge dringend notwendig ist. Er sagte: »Am wichtigsten und schwierigsten ist eine vernünftige Lösung für die sogenannten Altfälle.« Auf den Hinweis seines Gesprächspartners Heribert Prantl, dies seien jene Ausländer in Deutschland, die seit langem hier leben, aber keinen gesicherten Rechtsstatus hätten, die nur geduldet seien, nicht arbeiten dürften, die gleichsam in einem Warteraum lebten und deren Kinder oft hier geboren und aufgewachsen seien, äußerte Schäuble: »Wir brauchen eine konsensuale Lösung in einer Koalition von Bund und Ländern. Die Chancen hierfür sind relativ groß. Jeder sieht doch, daß man Kinder, die hier geboren wurden, zur Schule gingen und oft sogar einen guten Abschluß gemacht haben, nicht irgendwohin abschieben kann.«

Wenn also, wie der Bundesinnenminister ganz richtig bemerkt hat, diese Menschen nicht abgeschoben werden dürfen, dann stellt sich die Frage, warum es nicht schon längst eine Bleiberechtsregelung gibt. Die Antwort ist klar und einfach: Noch vor jeder Innenministerkonferenz haben einzelne Politiker eine solche Regelung versprochen, aber nie haben sich die Herren (es gibt keine einzige Innenministerin!) von SPD, CDU, CSU und FDP konkret geeinigt. Ohne Einstimmigkeit gibt es aber keine Bund-Länder-Regelung. Daher wird sich auch Schäubles Ankündigung als leeres Versprechen entpuppen, denn eine »Altfallregelung« würde nicht zum rigiden Kurs passen, den Union und SPD unisono im Bereich Migration verfolgen.

Zudem waren frühere Vorschläge für Bleiberechtsregelungen, wie etwa der von NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP) im Dezember 2005, dadurch gekennzeichnet, daß die meisten der schätzungsweise 200000 potentiell Betroffenen von der Möglichkeit, ein Aufenthaltsrecht zu erlangen, ausgeschlossen gewesen wären. Denn als Voraussetzung war zweijährige eigene Erwerbstätigkeit und fortlaufend gesicherter Unterhalt durch eigene Arbeit vorgesehen. Menschen mit Duldung haben aber dazu gar keine Chance, da sie nur »nachrangig« Arbeit bekommen, faktisch also vom Erwerbsleben ausgeschlossen sind.

Vor allem aber ist gegenüber Schäubles Absichten Skepsis geboten, weil er wieder auf eine Bund-Länder-Vereinbarung abzielt. Der einfachere Weg zu einer »Altfallregelung« wäre aber ein Bundesgesetz. Genau das aber haben CDU/CSU bei den Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz strikt verhindert. Unterstützt wurde die Union dabei vom damaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), so daß die Forderung der Flüchtlingsorganisationen, der Kirchen und der Menschenrechtler nach einem humanitär ausgestalteten Bleiberecht keine Chance auf Realisierung hatte. Es ist nicht erkennbar, daß die Konservativen inzwischen ihre Position geändert hätten und nun einen liberaleren Kurs einschlügen.

Faktisch keine Zuwanderung mehr
Im Gegenteil: Der Zugang für Flüchtlinge nach Europa und in die BRD wurde und wird systematisch verriegelt. Der sogenannte Asylkompromiß von 1993 bedeutete eine faktische Abschaffung des Grun rechts auf Asyl. Demgemäß ist die Zahl der Asylanträge von 438 191 im Jahre 1992 bis zum Jahr 2005 auf den historischen Tiefststand von 28 914 zurückgegangen, bei weiterhin sinkender Tendenz. Das Zuwanderungsgesetz, das seit 1. Januar 2005 in Kraft ist, hat neue Hindernisse für die legale Migration aufgetürmt. Selbst Innenminister Schäuble mußte in dem zitierten SZ-Interview zugeben, daß – wie er es ausdrückte – »wir zur Zeit so gut wie keine Zuwanderung haben«. Denn von den rund 400000 Migranten, welche die Statistik für 2005 immerhin ausweist, waren 350000 Saisonarbeiter und Erntehelfer, die nach wenigen Wochen oder Monaten die BRD wieder verlassen. Der Rest verteilt sich auf Familiennachzug und wenige originäre Neu-Zuwanderer.

Mit einem Punktekatalog will die Bundesregierung künftig dem Zuzug von Juden aus dem Gebiet der früheren Sowjetunion entgegenwirken. Von Opfern nationalsozialistischer Verfolgung abgesehen, sollen demnach nur noch Juden kommen dürfen, die nach verschiedenen Kriterien mindestens 50 von 105 Punkten für eine positive Integrationsprognose erzielen.
Im übrigen ist auch die absolute Zahl der Einbürgerungen auf dem niedrigsten Stand seit 1998 (sie ging von 178000 auf 117000 zurück). Somit sind die Zugänge »Asylrecht« und »Zuwanderungsgesetz« fest geschlossen. Die Abschottungspolitik der Europäischen Union und der BRD wendet sich daher in jüngster Zeit vermehrt dem Thema »illegaler Grenzübertritt« zu.
Neues »Strategiezentrum«

Wer künftig versucht, sich politischer Verfolgung, Repressalien oder Armut und Not im Heimatland zu entziehen, ohne die aussichtslosen Möglichkeiten des Zuwanderungsgesetzes oder des Asylverfahrens in Anspruch zu nehmen, sieht sich demnächst einer noch geballteren Staatsmacht gegenüber. Der Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Ex-BND-Präsident August Hanning, stellte am 17. Juli in einer Pressemitteilung das »Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration« (GASIM) vor. In dieser Einrichtung werden das Bundeskriminalamt, die aus dem Bundesgrenzschutz hervorgegangene Bundespolizei, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die »Finanzkontrolle Schwarzarbeit«, der Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Auswärtige Amt zusammenwirken. Damit wird illegalisierten Menschen eindeutig der Kampf erklärt. Um das verfassungsrechtliche Gebot einer klaren Trennung der Arbeit von Polizei und Geheimdiensten kümmert sich die Bundesregierung nicht. Es ist verdächtig, daß das GASIM in unmittelbarer Nähe zum »Gemeinsamen Terror-Abwehrzentrum« in Berlin-Treptow residiert. Unvereinbar mit seiner Aufgabe, Asylanträge zu prüfen, erscheint auch die Mitwirkung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im GASIM. Auch die Bundesländer, die »für viele Delikte, die mit der Schleusungskriminalität zusammenhängen, sowie für die Ausführung der ausländerrechtlichen Regelungen zuständig sind«, sollen alsbald eingebunden werden.

Staatssekretär Hanning erklärte namens der Bundesregierung die »illegale Migration mit ihren Auswirkungen auf die Kriminalitätslage, den Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme« zu einer der »gegenwärtig größten Herausforderungen für unsere Gesellschaft«. Sie müsse umfassend und wirkungsvoll verhindert werden. Sein Behördendeutsch in der genannten Presseerklärung ist entlarvend. Es soll vergessen machen, daß es sich um dramatische menschliche Schicksale handelt, und liest sich im Originaltext so: »Mit dem Zentrum wird der ganzheitliche Bekämpfungsansatz weiter ausgebaut. Entscheidende Voraussetzungen für eine effektive Aufklärung und Bekämpfung der illegalen Migration und der mit ihr verbundenen Kriminalitätsformen sind der schnelle Austausch und die umfassende Analyse der verfügbaren und relevanten Informationen sowie die Fähigkeit, bedrohliche Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, um ihnen operativ und mit strategisch ausgerichteten und konzeptionell fundierten Maßnahmen wirksam entgegenzutreten. Die zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Möglichkeiten müssen umfassend und konsequent genutzt werden.« Die Pressemitteilung endet mit den Worten: »Dem Netzwerk der illegalen Migration wird unter Berücksichtigung delikts- und behördenübergreifender Aspekte und Verantwortlichkeiten ein Netzwerk behördlicher Kommunikation und Information entgegengesetzt. Zudem soll eine Frühwarnfunktion für die betroffenen Behörden, aber auch für die politische Ebene geschaffen werden.«

EU vereint gegen Flüchtlinge
Diese »Frühwarnfunktion« hat die »politische Ebene« der EU offenbar schon erreicht. Die Europäische Union wird eine schnelle Eingreiftruppe (»Frontex«) aus Grenzpolizisten der Mitgliedsstaaten aufbauen, um sich gegen »illegale« Einwanderer zu schützen. Die Experteneinheit soll rund 300 Angehörige haben und in Krisensituationen von jedem der 25 EU-Mitglieder angefordert werden können. EU-Innenkommissar Franco Frattini stellte diese Idee am 24. Juli im EU-Rat zur Debatte, benötigt aber für deren Umsetzung noch die Zustimmung des Europäischen Parlaments. Die Spezialteams der Grenzpolizisten könnten nach Vorstellung Frattinis in Situationen wie in den autonomen Städten Ceuta oder Mellila eingesetzt werden. Diese beiden spanischen Exklaven in Marokko waren im Jahr 2005 die Hoffnung vieler Afrikaner für einen Zugang zur EU. Tausende von ihnen wurden brutal an den Stacheldrahtzäunen zurückgestoßen, mehrere sogar durch Schußwaffengebrauch der Sicherheitskräfte getötet. Ceuta und Melilla stehen exemplarisch dafür, daß Menschen in ganz Europa als direkte Folge der Militarisierung der Grenzen, der Asylgesetze, der Lager- und Abschiebungspolitik ums Leben kommen. Eine UN-Organisation hat über 6000 solcher Todesfälle seit 1993 dokumentiert.
Dennoch wird diese unmenschliche Politik noch verschärft. Die Teilnahme an der polizeilichen Spezialeinheit soll zwar für die EU-Staaten freiwillig sein. Bezeichnend ist aber, daß EU-Innenkommissar Frattini laut einem Bericht der Tageszeitung Die Welt vom 20. Juli 2006 in bezug auf die BRD sagte, »besonders Deutschland« habe bereits »großes Interesse gezeigt und ein außerordentlich großzügiges Angebot zur Teilnahme gemacht«.

Einmal mehr steht also die Bundesregierung an der Spitze, wenn es darum geht, die »Festung Europa« noch unzugänglicher zu machen. Es war der Innenminister der SPD/Grünen-Koali­tion, Otto Schily, der als erster die Idee mit Sammellagern für Flüchtlinge in Nordafrika in die Diskussion gebracht hatte. Auch dieser Plan ist noch längst nicht vom Tisch. Jedenfalls zielt die EU auf eine Flüchtlingsabwehrpolitik, die mit Polizei und Repression arbeitet. Afrikanischen Staaten will sie für die entsprechende Aufrüstung 15 Milliarden Euro zur Verfügung stellen.
Zusammengenommen zeugen beide Vorgänge – Bildung eines Strategiezentrums gegen illegale Migration und Beteiligung an der EU-Sonderpolizei – von einer kaltschnäuzigen und perfiden Mißachtung des Parlaments durch die Bundesregierung. Mitte Juni hatte auf Antrag der Fraktion Die Linke eine Sachverständigenanhörung des Bundestagsinnenausschusses zum Thema »Illegalisierte« stattgefunden (siehe jW vom 4. Mai). Diese Anhörung müßte erst einmal ausgewertet werden, ehe man weitere politische Schritte einleitet. Aber der Ansatz, diesen Menschen aus der »Illegalität« herauszuhelfen, ist für die Bundesregierung ein Tabu. Statt dessen setzt man weiter auf Kriminalisierung und Repression, obwohl in der Anhörung von den Experten über gegenteilige Politiken aus anderen EU-Ländern berichtet worden war.

Spanien beispielsweise hat wiederholt durch Amnestien den Migranten, die ohne legalen Grenzübertritt in die EU gekommen sind, eine neue Basis für ein normales Leben verschafft. Während in der BRD ständig die Polizei Hatz auf »Illegalisierte« macht, Kinder »Illegalisierter« von ihrem Recht auf Bildung ausgeschlossen bleiben und Ärzte, die solche Menschen behandeln, mit einem Bein im Gefängnis stehen, kann sich ein illegal oder mit Touristenvisum Eingereister in Spanien bei den Meldestellen registrieren lassen. Mit diesem halblegalen Status ist es möglich, über Jahre ein geregeltes Arbeitsleben zu führen. Es besteht die Chance, bei der nächsten Legalisierungskampagne das Bleiberecht endgültig zu sichern. Im Jahre 2005 erhielten in Spanien 600000 »Illegale« auf diesem Weg eine Aufenthaltserlaubnis.

»Migrationsgipfel« als Show
Von solcher Großzügigkeit ist in der BRD keine Rede. Hierzulande erschöpft sich die Migrationspolitik in Showveranstaltungen wie dem »Migrationsgipfel« am 14. Juli 2006 bei der Bundeskanzlerin. Die Integrationsbeauftragte, Staatsministerin Maria Böhmer (CDU), fordert zwar eine ausreichende Finanzierung von Sprachkursen für Migranten, aber diejenigen, die in CDU/CSU das Sagen haben, wie die Ministerpräsidenten Bayerns, Edmund Stoiber, und Hessens, Roland Koch, konterkarierten die Annäherung an manche (wichtige waren gar nicht eingeladen!) Migrantenverbände, indem sie ständig von Sanktionen für »Integrationsunwillige« faselten. Angeblich sei es notwendig, mit aufenthaltsbeendigenden Maßnahmen zu drohen, damit Sprachkurse besucht würden. Tatsächlich wurden im letzten Jahr 215000 Berechtigungen für die Teilnahme an Sprach- und Integrationskursen ausgegeben, und diese Lehrgänge werden stark nachgefragt, insbesondere auch von Frauen. Entgegen der Unwilligkeitsrhetorik liegen die Probleme nicht bei den Kursteilnehmern, sondern beim Staat. Mit nur 600 Unterrichtsstunden das anspruchsvolle Sprachniveau B 1 zu erreichen, ist nach Meinung aller Experten fast unmöglich. Und daß es für den Lernerfolg wichtig ist, homogene Gruppen zu bilden, deren Teilnehmer etwa gleiche Vorkenntnisse und gleiches Bildungsniveau mitbringen, müßte sich auch allmählich herumgesprochen haben.

Wie heuchlerisch der »Integrationsgipfel« angelegt war, bewies aber vor allem die Bundesregierung selbst. Schon wenige Tage danach, am 24. Juli, veröffentlichte das BMI seinen »Evaluierungsbericht« zum Zuwanderungsgesetz. Darin kehrte die Bundesregierung, wie Schleswig-Holsteins Innenminister Ralf Stegner (SPD) sarkastisch kommentierte, zur »Integrationspolitik mit dem Rohrstock« zurück. Diese »Evaluierung« kam auf eine sehr bezeichnende Art und Weise zustande. Das BMI holte Beamte und Angestellte aus den Ländern und Kommunen zu einem Erfahrungsaustausch nach Berlin. Diese berichteten naturgemäß über ihre Alltagsprobleme beim Vollzug des Zuwanderungsgesetzes. Vertreter der Migranten wurden erst gar nicht eingeladen, ebensowenig die Mitglieder des Netzwerkes Forum Menschenrechte. Bei dieser einseitigen Teilnehmerauswahl kann von einer wirklich umfassenden Evaluierung keine Rede sein. Das Ergebnis ist ein 260 Seiten starker Bericht, der vor allem auf Verschärfungen abzielt. »Abenteuerlich« nannte der Paritätische Wohlfahrtsverband beispielsweise die Forderung, deutsche Sozialhilfeempfänger sollten künftig ihre ausländischen Ehepartner nicht mehr nach Deutschland holen dürfen (»Ehe nach Kassenlage«). Auch das mühsam erkämpfte eigenständige Aufenthaltsrecht von ausländischen Frauen nach zweijähriger Ehedauer soll gekippt und auf drei Jahre angehoben werden. Überdies empfehlen die Beamten, Abschiebungen von Ausländern zu erleichtern, deren Duldung ausläuft. Die bisherige Ankündigung solcher Abschiebungen vier Wochen zuvor sollte wegfallen.

Unabhängig von den Einzelheiten stellen dieser Bericht und der Zeitpunkt seiner Veröffentlichung einen Affront gegen alle dar, die sich der Illusion hingegeben hatten, mit einem »Integrationsgipfel« könnte man die harte Linie der BRD in der Migrationspolitik auch nur minimal abmildern.

Asylwiderrufspraxis des BAMF
Das Zuwanderungsgesetz hat – neben vielen anderen Punkten – eine Neuerung gebracht, die sich für anerkannte Asylbewerber als außerordentlich negativ erweist: Das BAMF wird darin verpflichtet, jeweils nach drei Jahren zu überprüfen, ob Asylgründe noch vorliegen. Dies führt für anerkannte Asylbewerber zu erheblicher Unsicherheit. Zudem schoß das BAMF weit über die gesetzliche Vorgabe hinaus und überprüfte (und widerrief!) Asylbescheide, die vor zehn Jahren oder länger ergangen waren. Auch wenn die Ausländerbehörden dann noch eigenes Ermessen haben, ein Aufenthaltsrecht (ohne Asyl) zu gewähren, hat diese rigide Asylwiderrufspraxis doch zu zahlreichen Abschiebungen geführt. Denn wegen fehlender Bleiberechtsregelungen stellt jeder Asylwiderruf für die Betroffenen eine existen­tielle Bedrohung dar – die Abschiebung in ein Land ohne Aussicht auf Arbeit und Wohnung.

Flüchtlingsinitiativen klagen auch über eine sukzessive Verschlechterung der Aufenthaltssituation irakischer Flüchtlinge. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge begann nach dem offiziellen Ende des Irak-Kriegs damit, den Flüchtlingsstatus irakischer Flüchtlinge pauschal zu widerrufen. Die Initiative »Freie Flüchtlingsstadt Nürnberg« bestätigte in einem Schreiben an den Bundestag vom 5. Juli 2006, daß »keine Prüfung von Einzelfällen zu erkennen« sei. Die Irakerinnen und Iraker erhalten nach Angaben der Initiative Mitteilungen, daß man beabsichtige, ihre Aufenthaltserlaubnis nicht zu verlängern. Die Stadt Nürnberg fordere die Flüchtlinge zur Ausreise auf und drohe Abschiebungen an.
Diese Situation stellt für die betroffenen irakischen Flüchtlinge eine enorme psychische Belastung dar, zumal die Lage im Irak weiterhin von Gewalt geprägt ist. Insgesamt gab es bereits über 7000 Widerrufe gegenüber Flüchtlingen aus dem Irak.

Auch die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl bezeichnet die vom Bundesamt betriebenen Massenwiderrufsverfahren gegenüber anerkannten Flüchtlingen als skandalös. Allein im Jahr 2005 wurde über 10000 von ihnen ihr Status ab-erkannt. »Mit dem Widerruf verlieren die Betroffenen nicht nur den Flüchtlingsstatus, sondern auch die Sicherheit, im Land bleiben zu dürfen. Sie werden ›abschiebungsreif‹ gemacht«, kritisiert Pro Asyl. Gemeinsam mit einem breiten Bündnis aus Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen wird das Bundesamt aufgefordert, diese völkerrechtswidrige Praxis einzustellen.

Rechtsschutz ausgehebelt
Einen anderen Weg, die Abschiebepraxis zu bekämpfen, gehen die Hamburger Anwältin Da­niela Hödl und ihr Kollege Mark Nerlinger. Laut einem Bericht der taz (Nordausgabe) vom 6. Juli 2006 haben die Flüchtlingsanwälte Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung erstattet, weil die Hamburger Ausländerbehörde die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts mißachtet. Immer wieder werden langjährig Geduldete beim Besuch der Ausländerbehörde ohne Vorwarnung festgenommen und kommen in Abschiebehaft. Das Verwaltungsgericht Hamburg hat »Ad-hoc-Ingewahrsamnahmen« im Dezember 2005 in zwei Fällen für rechtswidrig erklärte. Nach Auffassung der Richter ist eine Ingewahrsamnahme nur dann zulässig, wenn diese Maßnahme »unerläßlich« sei, um eine unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern.

Die Mandanten der beiden Flüchtlingsanwälte hatten sich aber keineswegs ihrer Abschiebung durch Flucht entzogen, sondern waren stets zu den Vorsprechterminen der Behörde erschienen, teilweise sogar mit noch gültigen Duldungspapieren. Die Ad-hoc-Festnahmen und anschließenden raschen Abschiebungen lassen nach Meinung der Anwälte einen effektiven Rechtsschutz nicht zu.

Hinzu kommt eine immer größere Perfektionierung der behördlichen Abschiebepraxis. Das Land Nordrhein-Westfalen legte für Januar bis September 2005 einen Bericht vor, aus dem sich ergibt, daß bei 1900 Personen vor der Abschiebung eine ärztliche Untersuchung der Flugtauglichkeit erforderlich gewesen war. Nur in drei Prozent der Fälle hätten die Betroffenen die Mitwirkung daran verweigert. Zurückzuführen sei dies darauf, daß Paragraph 82 Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes nunmehr die zwangsweise Durchführung der ärztlichen Untersuchung vorsieht. Der Bericht zeigt, wie dicht die Behörden mittlerweile das Netz ihrer Maßnahmen gezogen haben.

Aus: junge Welt, 26. 7. 2006