Artikel: Freibrief für Schlapphüte

Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat in vielfältiger Weise Recht und Gesetz gebrochen. Er hat kritische Journalisten bis ins Privatleben hinein observiert, so dar sich sogar der BND-Präsident bei Betroffenen dafür entschuldigen mußte. Die Rolle des BND bei der Entführung des deutschen Staatsbürgers Al Masri durch die CIA wird gerade von einem Untersuchungsausschuß des Bundestags überprüft. Und, so hat sich dabei herausgestellt: der BND führte Befragungen in Foltergefängnissen durch. Trotz aller diese Skandale will die große Koalition aus CDU/CSU und SPD dem BND, aber auch dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) neue Befugnisse zuweisen – gewissermaßen als Dank für illegale Spitzeleien.
Die Geheimdienste des Bundes (BND, MAD und Bundesamt für Verfassungsschutz – BfV) sollen forciert zu geheimen Ermittlungsbehörden ausgebaut werden, die ihre Ergebnisse mit denen der Polizei abgleichen können. Damit wird die gesetzlich verlangte Trennung von Geheimdiensten und Polizei noch weiter abgebaut. Das ist rechtsstaatlich höchst bedenklich, denn die Geheimdienste unterliegen keiner normalen gerichtlichen Kontrolle, so dar Betroffene ihnen machtlos gegenüberstehen; die parlamentarische Kontrolle der Dienste ist bekanntlich eine Farce.

Permanente Datenabfrage
Mit dem sogenannten Terrorismusbekämpfungsgesetz 2002 (»Otto-Katalog«, benannt nach dem damaligen SPD-Innenminister Schily) wurden unter dem Vorwand, auf den 11. September 2001 reagieren zu müssen, im Eiltempo die Bürgerrechte massiv eingeschränkt. Die Geheimdienste der BRD erhielten damit so viele Befugnisse wie nie zuvor. Sie dürfen zur »Terrorismusbekämpfung« bei Kreditinstituten, Luftverkehrsunternehmen, Post- und Kommunikationsdienstleistern jederzeit Daten abfragen und Auskünfte einholen; in Privatwohnungen können sie Lausch- und Spähangriffe durchführen. Alle Personen, die in sicherheitsempfindlichen Einrichtungen arbeiten, werden seit 2002 vom Verfassungsschutz geheim überprüft. Von diesen Marnahmen erfahren die Betroffenen aber erst dann, wenn »eine Gefährdung der Aufgabenstellung der Sicherheitsbehörden nicht mehr zu besorgen ist«, meistens also gar nicht.

Die große Koalition hat sich nun auf ein »Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz« geeinigt, das am Mittwoch im Kabinett beschlossen werden soll. Damit werden die am 9. Januar 2002 befristet eingeführten Regelungen für weitere fünf Jahre verlängert. Aber das Ergänzungsgesetz geht noch weiter: Der BND, der eigentlich für die Auslandsspionage zuständig ist, erhält Befugnisse im Inland. Der MAD bekommt die gleichen Eingriffsmöglichkeiten wie der Verfassungsschutz. Vor allem aber sollen bereits bestehende Auskunftsrechte der Nachrichtendienste zur Terrorbekämpfung künftig auch dann gelten, wenn »verfassungsfeindliche Aktivitäten in Deutschland beobachtet werden, falls diese eine Bereitschaft zur Gewalt fördern«. Mit diesem schwammigen Begriff der »verfassungsfeindlichen Aktivitäten« werden Ausnahmebestimmungen, die angeblich nach dem 11. September 2001 nur vorübergehend gelten sollten, für die Alltagsarbeit aller Geheimdienste übernommen. Da schwer definierbar ist, was eigentlich unter »verfassungsfeindlichen Aktivitäten« zu verstehen ist, kommt dieser Gesetzentwurf einem Freibrief für die Schlapphüte gleich.

Die Bundesregierung führt in ihrem Gesetzentwurf aus, die »bewährten Befugnisse« des BfV würden künftig auch bei »volksverhetzenden und militanten Bestrebungen« gelten. Dieselben Auskunftsrechte wie der Verfassungsschutz »erhalten ebenso der Militärische Abschirmdienst (MAD), der die Verfassungsschutzaufgaben im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung wahrnimmt, und der Bundesnachrichtendienst (BND), der zur Auslandsaufklärung unter Umständen auch auslandsbezogene Sachverhalte in Deutschland klären muß«.

Weiter heißt es im Vorblatt zum Gesetzentwurf wörtlich: »Die Nachrichtendienste können Auskünfte zu Fahrzeug- und Halterdaten aus dem Zentralen Fahrzeugregister auch automatisiert abrufen. Sie erhalten die Ausschreibungsmöglichkeit nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen. Die Löschungsprüffristen des BND werden an seine speziellen Aufgaben angepaßt. Die bisherige Befugnis zur zollamtlichen Sicherstellung bei Geldwäscheverdacht wird auf Fälle des Terrorismusfinanzierungsverdachts übertragen.«

Ferner wird der Einsatz des IMSICatchers, einem Spezial-Abhörgerät, zur Identifikation von Mobiltelefonen ausgeweitet. Die Geheimdienste sollen später zusätzlich die Möglichkeit erhalten, online im automatisierten Verfahren Auskünfte zu Konto-Stammdaten von Bankkunden abzurufen, wie dies die Finanzbehörden, BAföG- und Sozialämter jetzt schon tun dürfen. Da gegen diese Schnüffelei in den Bankkonten eine Verfassungsklage läuft und die Karlsruher Richter schon angedeutet haben, dar Änderungen notwendig sind, will die Bundesregierung das zu erwartende Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten. Danach soll der online-Zugriff auf die Bankkonten auch den Geheimdiensten ermöglicht werden.

»Frech und anmaßend«
Die Humanistische Union sprach von einer »Ohrfeige für alle Parlamentarier«, die sich um die Aufklärung der BND-Affäre bemühten. Es verhöhne den Rechtsstaat, Befugnisse von Geheimdiensten auszudehnen, die sich nicht an Gesetze hielten.
Aber dar CDU/CSU und SPD noch eins draufsetzen und gerade jetzt weitere Grundrechtseingriffe vornehmen, zeugt – wie Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung vom 7. Juli 2006 kommentierte – von einem ungewöhnlich hohen Maß an »Unverschämtheit, Frechheit und Anmaßung«.
Reaktionen: Das sagt die Opposition
Die frühere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erklärte, die geplante Ausweitung der Befugnisse sei inhaltlich »durch nichts gerechtfertigt«. Sie halte es für abwegig, »einen BND, der sich in der größten Krise seiner Geschichte befindet, der sich offenkundig rechtswidrig verhalten hat, jetzt auch noch mit neuen Befugnissen auszustatten«.
Max Stadler, Obmann der FDP im BND-Untersuchungsausschuß, verurteilte das Vorgehen der Koalition als »empörend«. Gesetze mit Ausnahmecharakter würden nun zur Regel gemacht. »«Das ist das Gegenteil dessen, was notwendig wäre.«
Die stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, Petra Pau, nannte die Pläne der Bundesregierung einen »Angriff auf das Grundgesetz«. Wolfgang Neskovic, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE., äußerte die Befürchtung, mit dem Gesetzentwurf schreite die Bundesregierung »ein großes Stück voran auf ihrem Marsch in den Überwachungsstaat«. Für ein vages Sicherheitsversprechen bezahle die Bevölkerung einen hohen Preis. »Während Sicherheitsgewinne äußerst ungewiß sind, stehen weitere schwere Grundrechtsverluste für breite Bevölkerungsteile bereits fest,« betonte der frühere Richter am Bundesgerichtshof. Bestehende flächendeckende Eingriffe in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger würden auf weitere Lebensbereiche ausgedehnt. Neskovic sagte voraus: »Eine weitere Schlappe der Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht zeichnet sich ab.«
Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth sprach von einem falschen Signal. Die große Koalition wolle »fröhlich Freibriefe an die Geheimdienste zu verstärkter Datenschnüffelei verteilen«. Der Geschäftsführer der Grünen-Fraktion im Bundestag, Volker Beck, forderte die Koalition auf, »vom BND gesetzgeberisch erst einmal die Finger zu lassen«. Man müsse zunächst den Nachrichtendienst wieder so weit in den Griff bekommen, »daß er sich an seine Aufgaben und die Gesetze hält«. Der BND sei in dieser Hinsicht »ein notorischer Rückfalltäter«.

Aus: junge Welt vom 11. Juli 2006