Dokumentiert: Offener Brief an den Regierenden Bürgermeister von Berlin

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,

am 03.06.2006 fand in Berlin eine Demonstration zur Problematik der
Absenkung der sozialen Standards in der Bundesrepublik Deutschland statt, an
der ich teilgenommen habe. Die Forderungen der Demonstranten betrafen die
Frage Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung, Rücknahme von Hartz IV,
Europäische Sozialstandards etc.

Auf der Rednerliste standen unter anderem Abgeordnete des deutschen
Bundestages sowie des europäischen Parlamentes. Schon während der
Auftaktkundgebung wurde die Veranstaltung durch die Polizei gestört.

Nach Beginn der Demonstration kam es zu mehrfachen massiven Eingriffen
durch die Polizei. Ecke Tucholskystraße war eine größere Anzahl von
Polizisten mit Fahrzeugen positioniert. Ich bin aus der Demonstration
ausgeschert, um zu beobachten, was dort passiert. Der Wagen der Ver.di
forderte die Polizei auf, sich zurückzuziehen, da die Demonstration absolut
friedlich verlaufe. Unmittelbar nachdem die Ver.di-Delegation durchgezogen
war, stieß die Polizei mit großer Wucht in die nächste Gruppe der
Demonstration vor. Der Demonstrationszug wurde geteilt, einzelne Teilnehmer
wurden herausgezerrt und zu den Fahrzeugen gebracht.

Ich übe seit 15 Jahren das Amt des Personalratsvorsitzenden in einem
kommunalen Versorgungsunternehmens aus und bin am Arbeitsgericht in Aachen
ehrenamtlicher Richter. Sie dürfen mir also abnehmen, dass ich eine klare
Vorstellung davon habe, wie Recht und Gesetz in unserem Staat funktionieren
sollte.

Was während der Demonstration vorgefallen ist, hat mit Recht und Gesetz
nichts mehr zu tun. Die Polizei trat absolut aggressiv auf und prügelte mit
solcher Wucht auf die Demonstranten ein, dass ich in der Tat versucht war,
einzuschreiten. Zu keiner Zeit wurde von Seiten der Demonstranten dafür
irgendein Anlass geboten. Im Nachhinein betrachtet kann ich nur den
Demonstrationsteilnehmern dafür danken, dass sie sich nicht haben
provozieren lassen. Die Sache wäre mit Sicherheit eskaliert und daran hätte
alleine die Polizei die Schuld gehabt!

Dieser Vorfall hat mich zutiefst schockiert! Es handelte sich bei der
genehmigten Demonstration um eine Veranstaltung, die sich für die Rechte der
benachteiligten und an den Rand gedrängten Menschen in diesem Lande
einsetzt. Dass der Staat – hier repräsentiert durch die Berliner Polizei

– auf eine derartige Veranstaltung, die absolut friedlich verlaufen ist,
so unverhältnismäßig reagiert, ist ein Skandal! So wie Ihre Berliner Polizei
agiert, wird die nach Artikel 8 Abs. 1 GG garantierte Demonstrationsfreiheit
adabsurdum geführt. Es kann nicht sein, dass die exekutive Gewalt dem Volk
als Souverän vorgibt, welche seiner Rechte es ausüben darf und welche nicht.

Ich erwarte von Ihnen als dem obersten Repräsentanten des Landes Berlin,
dass Sie der Sache nachgehen. Des Weiteren ist es notwendig, dass Sie
zuverlässig sicherstellen, dass sich derartige Vorfälle nicht wiederholen
können.

Ich denke, das Sie nicht wollen können, dass in der Öffentlichkeit das
Bild entsteht, in der deutschen Hauptstadt Berlin agiere unkontrolliert eine
Prügel-Polizei, ungeachtet unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Freundliche Grüße

Dietmar Schütteler